Was ist ein authentischer Ort und was kann er leisten? Diese Frage beschäftigt Otto Lohr, der die Restaurierung von rund 20 Synagogen in Bayern sowie ihren Ausbau zu Erinnerungs- und Lernorten begleitete, durchweg. Eine dieser Synagogen befindet sich in Memmelsdorf, einer knapp 500 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Gemeinde im unterfränkischen Landkreis Haßberge. Hansfried Nickel, der 1995 mit einem zu diesem Zweck gegründeten Verein die örtliche Synagoge aus dem frühen 18. Jahrhundert erwarb, berichtet während der Veranstaltung von der Renovierung und Konservierung des Gebäudes in den Jahren zwischen 1998 und 2004. Der einstige Lehrer zeigte sich überaus dankbar für die kompetente Unterstützung des Fachmannes Otto Lohr, der ihn während dieser Zeit immer wieder „mit zurückhaltendem Druck“ in die richtigen Bahnen leitete. Dass der Bedarf an Synagogen nach 1945 begrenzt war, da nur wenige jüdische Gemeinden in Bayern neu gegründet werden konnten, führt Otto Lohr in dem kürzlich erschienenen, von ihm und Bernhard Purin herausgegebenen „MuseumsBaustein“ „Jüdisches Kulturgut. Erkennen – Bewahren – Vermitteln“ aus, den die Leiterin der Landesstelle, Dr. Astrid Pellengahr, zum Auftakt des Kolloquiums vorgestellt hat. Die nicht zerstörten Synagogen waren häufig baufällig oder wurden zweckentfremdet. Erst in den 1980er Jahren setzte allmählich ein Trend zur Wiederherstellung und Erhaltung ein.
Dr. Josef Kirmeier, Leiter des Museumspädagogischen Zentrums in München, berichtete von der Zeit, in der er als Mitarbeiter am Haus der Bayerischen Geschichte mit Otto Lohr, damals wissenschaftlicher Angesteller am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM), die in den Jahren 1988 und 1989 im GNM gezeigte Ausstellung „Siehe der Stein schreit aus der Mauer. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern“ erarbeitete, die seit Monumenta Judaica in Köln 1963/1964 erstmals wieder (und zugleich nach 1945 in dem Umfang zum ersten Mal in Bayern) eine so umfassende Auseinandersetzung mit jüdischer Vergangenheit gebracht hatte.
Dr. Martina Edelmann, Leiterin des Kulturamtes der Gemeinde Veitshöchheim, stellte das 1998 gegründete Genisa-Projekt am Jüdischen Kulturmuseum des Ortes vor. Während der Renovierungsarbeiten in der Synagoge wurde im Dachboden eine umfangreiche Ablage religiöser Schriften, einiger Textilien und religiöser Kultgegenstände wie etwa Gebetsriemen entdeckt, die nach religiöser Vorschrift nicht vernichtet werden dürfen. Seither wird nicht nur dieser Fund von Edelmann und ihren beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Elisabeth Singer und Beate Weinhold erforscht und inventarisiert, sondern auch weiteres historisches Material, das von verschiedenen fränkischen Gemeinden an die Expertinnen abgegeben wird.
Daniela F. Eisenstein, Direktorin des Jüdischen Museums Franken, stellte Otto Lohrs Beitrag zum Ausbau und zur Erweiterungen des Museums in Schwabach und Fürth dar und Dr. Benigna Schönhagen, Direktorin des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg, skizzierte ein neues Ausstellungsprojekt für die Zweigstelle in der ehemaligen Synagoge Kriegshaber, das dort unter dem Titel „Eine Erinnerung ist eine Erinnerung ist eine Erinnerung?“ vom 30. Januar 2018 bis 17. Juni 2018 jüdische Ritualgegenstände aus dem Umfeld der Synagoge zeigen wird. Bernhard Purin umriss die im Jahr 1998 von Otto Lohr und der Landesstelle maßgeblich geförderte Bearbeitung und Publikation der zwischen 1926 und 1932 von Theodor Harburger durchgeführten Dokumentation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in 128 bayerischen Orten, die für die Identifizierung von Ritualobjekten heute eine außerordentliche Rolle spielt. Zugleich verwies er auf die Bedeutung einer künftigen ergänzenden Erschließung und Veröffentlichung der sich in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem befindenden handschriftlichen Aufzeichnungen von Harburger.
Ein Vortrag mit dem Titel „Three Decades of Jewish Heritage Work: From ‘Dark Places’ to Professionalism“ von Ruth Ellen Gruber, Journalistin, Autorin und Koordinatorin des Onlineportals „Jewish Heritage Europe“, das den Umgang mit jüdischem Erbe in 48 Ländern dokumentiert, bildete den Abschluss der Veranstaltung. Wenn man in die Zeitung schaut, könnte man den Eindruck gewinnen, als geschähe nur Negatives wie vor wenigen Tagen im schwedischen Göteborg, wo Jugendliche einen Brandsatz auf eine Synagoge warfen, sagt Gruber: „Es passiert jedoch auch viel Gutes.“ Als ein über Deutschland hinausweisendes Beispiel führte sie die Tschechische Republik an, wo nach dem Sturz des Kommunismus 1989 65 Synagogen restauriert wurden. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es dort rund 400 Synagogen. Besondere Beachtung verdient ein Projekt, das 2014 vollendet wurde. Es ermöglichte die Renovierung beziehungsweise Rekonstruktion von 15 bedeutenden jüdischen Baudenkmälern in zehn Städten Böhmens, Mährens und Schlesiens und erhielt daher den Titel „Zehn Sterne“. Am Ende präsentierte Gruber noch ein ganz aktuelles Foto des großen Chanukka-Leuchters, der seit Montag den Münchner Jakobsplatz ziert und auf das Dienstag begonnene achttägige Chanukka-Fest verweist und der sie mit großer Freude erfüllt.
Happy Chanukka!
Fotos: Lilian Harlander