In den letzten Monaten haben wir Gabriella Rosenthal auf unserem Blog ausführlich vorgestellt: 1913 in München geboren und aufgewachsen, wanderte sie Mitte der 1930er Jahre nach Palästina aus. Ihre Eindrücke von der dortigen Kultur und den Menschen, denen sie begegnete, hielt sie in zahlreichen Zeichnungen fest.
Doch woher kam ihre Begeisterung für die künstlerische Arbeit? Um uns der Antwort auf diese Frage anzunähern, wenden wir unsere Aufmerksamkeit von Gabriella Rosenthals Zeit in Palästina und Israel wieder zurück zu ihren Wurzeln in München: Die bekannte Antiquarsfamilie Rosenthal besaß eine hochkarätige, private Kunstsammlung, deren Bestand und späterer Verlust in der NS-Zeit derzeit am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München erforscht wird. Die Projektleiterin, Franziska Eschenbach, war so freundlich, uns bereits einige Einblicke in die ersten Forschungsergebnisse zu geben.
Der Aufbau
Aufgebaut wurde diese Sammlung von Gabriella Rosenthals Großeltern Jaques und Emma Rosenthal, doch auch ihr Vater Erwin Rosenthal war an der Sammlungsarbeit beteiligt. Als Kunstsammler im engeren Sinne habe sich Jaques Rosenthal nicht verstanden, so Franziska Eschenbach. Vielmehr gehörten Erwerb und Besitz in damaliger Zeit zu seinem gesellschaftlichen Status und Berufsstand dazu.
Dennoch lag die Motivation zum Kunsterwerb offenbar nicht nur in der gesellschaftlichen Repräsentation, denn öffentlich ausgestellt wurde die Sammlung nach jetzigem Erkenntnisstand nie. Die Kunstwerke befanden sich im Haus der Familie Rosenthal in der Brienner Straße, sowohl in den Privat- als auch in den Geschäftsräumen des Hauses: „Betrat man das Antiquariat, so gelangte man unmittelbar in verschiedene Ausstellungsräume, die mit Vitrinen, teuren Teppichen und stoffbezogenen Wänden aufwendig gestaltet waren“, so Franziska Eschenbach.
Auch die Enkelin Gabriella konnte die Kunstwerke bei ihren Besuchen im Haus ihrer Großeltern bewundern. Ob in dieser Sammlung wohl die großen Werke zu sehen waren, von denen ihre ersten Zeichenversuche inspiriert wurden?
Der Bestand
Zum Bestand der Kunstsammlung Rosenthal konnten Franziska Eschenbach und ihre Kolleg*innen bereits erste Erkenntnisse sammeln. So sollen sich in der Sammlung beispielsweise Werke von Lucas Cranach d. Ä., Michiel van Mierevelt und Lovis Corinth befunden haben.
Das Gemälde von Michiel van Mierevelt ist sogar auf einem Hochzeitsfoto von Gabriella Rosenthal und Schalom Ben-Chorin zu sehen. Im Alltag und bei besonderen Ereignissen waren die Familienmitglieder also offenbar von Kunst umgeben, ein selbstverständlicher Bestandteil im Leben der Rosenthals.
Der Verlust
Umso schmerzlicher muss der Verlust der Sammlung gewesen sein. Im August 1935 wurde Erwin Rosenthal von der Reichskammer der Bildenden Künste aufgefordert, das Geschäft innerhalb von vier Wochen zu schließen. Er sah sich gezwungen, seine wirtschaftliche Existenz in Deutschland aufzugeben. In diese Zeit fällt auch die Emigration Gabriella Rosenthals ins damalige Palästina.
Im Dezember desselben Jahres verkaufte Erwin Rosenthal das Antiquariat an seinen Mitarbeiter Hans Koch und emigrierte kurze Zeit später endgültig in die Schweiz. Im Januar 1936 gaben Jaques und Erwin Rosenthal viele Kunstwerke aus der Sammlung bei der benachbarten Kunsthandlung von Julius Böhler in Kommission. Es sei jedoch nicht auszuschließen, wie Franziska Eschenbach erläutert, dass Erwin Rosenthal zumindest einen Teil der Sammlung in die Schweiz transferieren konnte, um sie dort zu veräußern.
Darüber hinaus besaß die Familie in Paris eine Privatwohnung, in der ebenfalls Kunstwerke aufbewahrt wurden. Diese wurden nach der Besetzung Frankreichs 1940 durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg geplündert.
Es sind unter anderem die Quellen aus dem Kunsthandel zu diesen Veräußerungen, die dem Forschungsteam Einblick in den ursprünglichen Bestand und die letztlichen Verlustumstände der Sammlung geben. Darüber hinaus enthält der Firmen- und Familiennachlass der Rosenthals im Stadtarchiv München Dokumente und Berichte über die Familiengeschichte während der NS-Diktatur: „Durch diese offenen Berichte können wir uns ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Verdrängung durch die Nationalsozialisten und von den Schwierigkeiten eines Neuanfangs in der Emigration machen“, erläutert Franziska Eschenbach.
Ein Ausblick
Franziska Eschenbach und ihr Team werden sich noch bis zum 31. Januar 2022 intensiv mit diesen Quellen auseinandersetzen und so den Bestand der Kunstsammlung und die genauen Umstände ihres Verlusts rekonstruieren. Neben dem Abschlussbericht wird es möglicherweise auch eine virtuelle Ausstellung geben, in der die Forschungsergebnisse visuell aufbereitet werden sollen.
Wer weiß, vielleicht finden sich dabei auch noch einige Inspirationsquellen von Gabriella Rosenthal? Eines jedenfalls ist gewiss, auch wenn die Ausstellung zu Gabriella Rosenthal bei uns im Jüdischen Museum München endet, die Beschäftigung mit der Familie Rosenthal und ihrer Kunst wird in München auch weiterhin fortgeführt.
Weiterführende Literatur:
Angermair, Elisabeth u.a.: Die Rosenthals. Der Aufstieg einer jüdischen Antiquarsfamilie zu Weltruhm, Böhlau Verlag 2002.