Nach Jerusalem zog es Gabriella Rosenthal schon in ihrer Jugend: 22 Jahre alt war sie, als sie 1935 mit ihrem Ehemann Schalom Ben-Chorin von ihrer Geburtsstadt München aus dorthin emigrierte. Im britischen Mandatsgebiet Palästina und später im Staat Israel produzierte sie zahlreiche Zeichnungen für verschiedene Zeitungen und andere Anlässe. Diese sind nun den umgekehrten Weg gegangen – von Jerusalem in Richtung Isar und sind bald im Jüdischen Museum München zu sehen.
Gabriella Rosenthal wurde 1913 als Tochter des bekannten Antiquars Erwin Rosenthal in der Stadt an der Isar geboren. Schon früh entwickelte sie ein ausgeprägtes Interesse für künstlerische Arbeit – weit mehr als für die Schularbeit. Daher ermöglichte Erwin Rosenthal seiner Tochter den Besuch verschiedener Kunstschulen in München sowie die Fortsetzung ihrer Studien in Florenz und Paris. Aufgrund dieser Ausbildung war es Gabriella Rosenthal möglich in ihrer neuen Heimat neben anderen Tätigkeiten auch als Zeichnerin und Karikaturistin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Immer schonungslos ehrlich, aber auch immer liebevoll hielt sie dabei Leben und Alltag der Menschen in Palästina bzw. Israel in ihren Zeichnungen fest.
Ihr Sohn, Tovia Ben-Chorin, trat mit den Zeichnungen und einer Ausstellungsidee an die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum heran. Chana Schütz nahm sich daraufhin der Kuration dieser Ausstellung an. Ein Jahr lang, von Oktober 2018 bis Oktober 2019, bestand die Möglichkeit das Werk Gabriella Rosenthals in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum einzusehen.
Nach dem Ende der Ausstellung in Berlin kommt sie nun ins Jüdische Museum München. Seitdem warten die Bilder im Depot des Museums darauf, wieder als Ausstellungsobjekt präsentiert zu werden.
Vollgepackte Koffer, Gedränge an den Türen, Abschied und Begrüßung. So aktuell wie damals erscheint das hier in Ausschnitten abgebildete Werk „Lydda Express“. Bevor der Flughafen in Lod 1975 in Ben-Gurion-Flughafen umbenannt wurde, hieß er Lydda Flughafen. Von dort aus führte ein Express-Zug nach Jerusalem. Gabriella Rosenthal hat 1946 die hektische und durch das Warten geprägte Atmosphäre am Bahnhof mit ihrer Zeichnung eingefangen und in der „Palestine Post“ veröffentlicht.
Ähnliche Erfahrungen wie die in dieser Zeichnung abgebildeten Menschen hat auch Gabriella Rosenthal selbst gemacht. So schreibt sie nach ihrer Ankunft im Mandatsgebiet Palästina auf einer Karte an ihre Familie:
Gestern 4 Uhr an Haifa. – ¾8 an Land. – Koffertohuwabohu. […] Tatsächlich mit Hilfe Schoimes, Fritzens [= Schalom Ben-Chorin, Gabriella Rosenthals Ehemann, Anmerkung AW] Freund, Koffer gerettet. – Haifa: grandioser Bauplatz in blendenstem, durchsichtigsten, heissen Licht. – Drapierte, Bekannte, „Gasos“ Autobusse. „Gehen Sie zur Hitachdula Oleh Germaniah“ „Trinken Sie nur abgekochtes Wasser“ „Hören Sie nicht zu sehr auf die H.O.G., die weiss auch nichts!“ „Das Wasser können Sie ruhig trinken, das macht Ihnen garnichts!“ Englische Kriegsschiffe.
Stadtarchiv München, NL-ROS-Abgabe 2019, Karte von Gabriella Rosenthal und Schalom Ben-Chorin an Familie Rosenthal, ohne Datum
Ihr Schreibstil – sicherlich nicht nur der geringen Größe der Karte geschuldet – spiegelt das Chaos und die Aufregung bei der Ankunft, aber auch die Freude auf das Neue, auf das Entdecken des Unbekannten und noch Fremden.
Ein Eindruck, der sich auch in der Zeichnung „Lydda Express“ widerspiegelt. Auf den hier gezeigten Fotos wird die Zeichnung gerade zur Rahmung vorbereitet. Der erste Schritt im aufwändigen Aufbau der Ausstellung. Und noch viele weitere Originale warten darauf gerahmt und in die Ausstellung integriert zu werden.
Doch das Warten hat bald ein Ende. Am 17. März 2020 eröffnet die Ausstellung „Von der Isar nach Jerusalem – Gabriella Rosenthal (1913-1975) – Zeichnungen“ im Jüdischen Museum München. Hier kann diese Zeichnung ebenso im Original betrachtet werden, wie zahlreiche weitere Werke Gabriella Rosenthals.
Der Ausstellungskatalog „Gabriella Rosenthal. Es war einmal in Jerusalem. A Very Personal View. Zeichnungen. Drawings Palestine / Israel, 1938-1955“ ist im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen und in Kürze in der Literaturhandlung im Museumsfoyer erhältlich.