Von der Isar nach Jerusalem – Ein Spagat zwischen den Kulturen

Ihre Zeichnungen machen es deutlich: Gabriella Rosenthal konnte sich für Menschen begeistern – unabhängig von Herkunft, Kultur oder Religion. Und so wandelte Gabriella Rosenthal Zeit ihres Lebens mit scheinbarer Leichtigkeit unter Menschen verschiedenster Herkunft und überschritt dabei ständig vermeintliche Grenzen. Ein Vorbild modern gelebter Diversität!
Gabriella Rosenthal: Ein fairer Tausch, Federzeichnung, veröffentlicht in: Palestine Post, „Palestine People“, 18.10.1946. © privat
Gabriella Rosenthal: Ein fairer Tausch, Federzeichnung, veröffentlicht in: Palestine Post, „Palestine People“, 18.10.1946. © privat

Als junges Ehepaar entschlossen sich Gabriella Rosenthal und ihr Mann Schalom Ben-Chorin 1935 zur Auswanderung in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Von diesem Zeitpunkt an stand Gabriella Rosenthal zwischen zwei Kulturen. Und an beide hatte sie ihr Herz verloren. So schreibt sie einerseits:

„Ich komme von meiner Patrona Bavaria nicht los – ach, war sie schön!“

(Stadtarchiv München, NL-ROS-0438, Brief von Gabriella Rosenthal an Albrecht Rosenthal, 10. März ohne Jahr)

Aber andererseits auch:

„…hat […] mich natürlich in meiner rettungslos orientalischen Seele […] ganz unvergleichlich und herzlich begeistert.“

(Stadtarchiv München, NL-ROS-0438, Gabriella Rosenthal an Albrecht Rosenthal, 28. November ohne Jahr)

Nach Deutschland kehrte Gabriella Rosenthal dennoch nie wieder zurück; eine bewusste Entscheidung. Stattdessen besuchte sie ihre Familie während Reisen nach Paris und in die Schweiz.

Gabriella Rosenthal: Im Wettstreit, Federzeichnung, veröffentlicht in: Palestine Post, „Palestine People“, 22.02.1946. © privat

Zudem fand Gabriella Rosenthal eine zusätzliche Familie im Mandatsgebiet Palästina bzw. später im Staat Israel. Bedingt durch Einwanderungen aus verschiedenen Teilen der Welt war dieses Land seit dem 19. Jahrhundert geprägt durch die unterschiedlichsten Kulturen. Gabriella Rosenthal fand Freunde sowohl unter jüdischen als auch unter arabischen, unter christlichen, drusischen und muslimischen Nachbarn. Kulturelle Barrieren nahm sie stets mit Humor und Verständnis, eine Einstellung, die sich auch in ihren Zeichnungen widerspiegelt. So wie diese das interkulturelle Leben in Palästina und Israel darstellen, war auch Gabriella Rosenthals Lebensumfeld ein Ort des kulturellen Austauschs:

Auf meiner Terrasse aber gehts lustig zu, Jud und Christ, Druse und Moslem frozzeln einander beim Kaffee (türkisch oder „frengi“ nach Wahl) und jeder weiss allweil was Spannendes oder/und Vergnügliches zu verzelln, und durch meine Freundin Samira habe ich auch meistens den schönsten morgenländischen Klatsch, der ja weitaus saftiger und pointierter ist als zum Beispiel der neue Mixer der Nachbarin und ob Sterns vermietet haben, mit oder ohne Frühstück oder für die Pension Cohen.

(Stadtarchiv München, unerschlossener Akt, Brief von Gabriella Rosenthal an Albrecht Rosenthal, 1. Oktober ohne Jahr)
Gabriella Rosenthal: In Zivil, Federzeichnung, veröffentlicht in: Palestine Post, „Palestine People“, 31.05.1946. © privat

Dabei war Gabriella Rosenthal nicht unkritisch – weder gegenüber der palästinensischen und israelischen noch der europäischen oder jedweden anderen Kultur. So äußerte sie sich wiederholt zu den ihrer Meinung nach unzeitgemäßen Sitten der arabischen und drusischen Bevölkerung, lässt aber auch das Verhalten der europäischen Einwandernden nicht unkommentiert:

Immer beliebt sind Berichte von Rettern der Familienehre – eine [sic!] der blödesten Vorurteile des Patriarchats, und eine der unheilvollsten, ist die lächerliche Ueberschätzung der Jungfräulichkeit.

(Stadtarchiv München, NL-ROS-0438, Brief von Gabriella Rosenthal an Erwin Rosenthal, Mina, Nicoletta Rosenthal und Albrecht Rosenthal, 21/22.10.1957)

Obwohl Gabriella Rosenthal stets um ein friedliches Miteinander der Menschen in ihrem Umfeld bemüht war, war sie sich folglich auch der Konfliktpotentiale bewusst. Sie versuchte dabei nicht die Verschiedenheiten zwischen den Kulturen aufzuheben, sondern sah die Unterschiede ebenso wie die Gemeinsamkeiten: Sie glaubte an Diversität durch das Respektieren von Differenzen, ohne aufzuhören die Dinge zu hinterfragen. Diese heute so moderne Sichtweise und die Frage um die Relevanz von Unterschieden kommentierte sie auch in ihrem künstlerischen Werk, das derzeit im Jüdischen Museum München ausgestellt ist.