Ab Oktober 1941 begann die nationalsozialistische Regierung systematisch Personen in die sogenannten Ostgebiete des Deutschen Reichs zu deportieren. Betroffen waren Menschen, die nach der nationalsozialistischen Rassenideologie als Jüdinnen und Juden angesehen wurden, unabhängig davon, ob sie sich selbst als solche verstanden. Der erste solcher Transporte aus München ging am 20. November 1941 von Milbertshofen ab. Den 998 deportierten Personen, davon 978 Münchnerinnen und Münchner, wurde mitgeteilt, sie würden zu einem Arbeitseinsatz gebracht. Sie hatten sich vor dem Transport im Barackenlager in Milbertshofen einzufinden, teilweise bereits einige Tage vor Abfahrt. In den frühen Morgenstunden des 20. November 1941 schließlich mussten sie zum Bahnhof Milbertshofen laufen, wo sie in einen Sonderzug verbracht wurden. In dem viel zu kleinen Zug gab es für die meisten der fast 1.000 Personen keine Sitzmöglichkeit. Die Fahrt nach Kaunas dauerte drei Tage, der genaue Streckenverlauf ist nicht mehr zu rekonstruieren. Gemeinsam mit Menschen aus zwei weiteren Deportationszügen aus Berlin und Frankfurt am Main wurden sie dort in die viel zu kleinen Zellen des Fort IX gesperrt, wo sie noch zwei weitere Tage ausharren mussten.
Am 25. November 1941 wurden die aus München, Berlin und Frankfurt am Main deportierten Menschen in den Festungsgräben des Fort IX vom Einsatzkommando 3 der Einsatzgruppe A unter der Leitung des SS-Standartenführers Karl Jäger erschossen.
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren ist zunächst nur wenig über den Massenmord an den nach Kaunas deportierten Menschen berichtet worden. Lange blieben die Hinterbliebenen in Unwissenheit über den Verbleib ihr Angehörigen und Freund_innen. Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich Studien diesen Ereignissen intensiver gewidmet. Seit 1959 erinnern im Fort IX ein Museum und Erinnerungstafeln an diese Verbrechen. Außerdem befindet sich auf dem Gelände ein monumentales Denkmal des Architektentrios Ambraziūnas, Baravykas und Vielius. Erst aus der Nähe sind die Details des Denkmals, die von Leid, Wut und Trauer verzerrten Menschenfiguren, zu erkennen.
Am 20. November 2021 jährt sich der Tag der ersten Deportation der als jüdisch verfolgten Münchnerinnen und Münchner in die „Ostgebiete“ zum 80. Mal. Zum Gedenken an die Opfer finden stadtweit verschiedene Veranstaltungen und Projekte statt, dazu zählt auch die Fotoinstallation im Foyer des Jüdischen Museums München.
Mit seinem breit angelegten Projekt „Strukturen der Vernichtung“ bewahrt der vielfach ausgezeichnete Fotograf Rainer Viertlböck die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen in den Konzentrationslagern: Seit 2016 hat Viertlböck es sich zur Aufgabe gemacht, sämtliche Konzentrationslager sowie deren Außenlager und viele Erschießungsstätten mit seiner Kamera festzuhalten. Die Bilder dokumentieren den gesamten Umfang des nationalsozialistischen Lager- und Vernichtungssystems. Viertlböck hält die Geschichte dieser Orte, ihrer Umnutzung, des Vergessens und Verdrängens bildlich fest und bewahrt auf diese Weise die noch erhaltenen Spuren. Er schafft damit ein Mahnmal und visuelles Erinnerungszeichen für die Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungssystems. Im Foyer des Jüdischen Museums München zeigt er nun zwei beeindruckende monumentale Fotografien, die das Innere einer Gefängniszelle und das Mahnmal auf dem Gelände des Fort IX zeigen.
Ergänzend begleiten wir die Fotoinstallation auf Instagram (@juedischesmuseum) und Facebook (@JuedischesMuseumMuenchen): Die Biografien von Münchnerinnen und Münchnern, die am 20. November 1941 aus München deportiert wurden, werden hier vorgestellt und an sie erinnert. Die Beiträge teilen wir unter dem Hashtag #Kaunas1941.
Die Ausstellung „Kaunas 1941. Eine Fotoinstallation von Rainer Viertlböck“ ist vom 16. November 2021 bis zum 15. Dezember 2021 bei freiem Eintritt im Foyer des Jüdischen Museum München zu sehen. Auch außerhalb unserer Öffnungszeiten können Sie die Installation vom St.-Jakobs-Platz aus einsehen.
Künstlergespräch mit Rainer Viertlböck: