Aus dem Homeoffice (4): „Bayerns berühmte Marke“

Wir lesen es in der Zeitung, sehen es im Fernsehen oder es geht uns selbst so: Corona ist auch eine Zeit des Aufräumens, des Stöberns in lange nicht mehr geöffnete Schubladen und Schachteln und das Wiederentdecken von Dingen, mit denen wir Erinnerungen verbinden. Wir merken das auch im Posteingang des Jüdischen Museums München. In den letzten Wochen fanden sich immer wieder Briefe und Päckchen mit Schenkungen für unsere Sammlung.
Reklamemarke der Enzianbrennerei Eberhardt, um 1910.

Letzte Woche erhielten wir etwa den Brief eines 97-jährigen Münchners, der heute im Münchenstift am Luise-Kiesselbach-Platz lebt. Aufgewachsen ist er aber in der Tulbeckstraße auf der Schwanthalerhöhe im gleichen Haus, in dem sich auch die Enzianbrennerei Eberhardt befand. Gegründet wurde sie 1879 von dem aus dem unterfränkischen Maßbach stammenden Lazarus Eberhardt (1849–1902) und entwickelte sich unter ihm und seinem Sohn Sigmund (1878–1957) zum bedeutendsten Hersteller von Enzianschnäpsen und -likören in Süddeutschland. Maßgeblich zum Erfolg als „Bayerns berühmte Marke“ führte eine ausgeklügelte Werbestrategie, für die der Schriftsteller Georg Queri (1879–1919) die Texte verfasste und der Grafiker Paul Neu (1881–1940) die Illustrationen lieferte.

Aber zurück zum ehemaligen Nachbarn der Enzianbrennerei. Er schrieb uns: „Aus meiner Kindheit kann ich mich noch gut erinnern, dass wir im Hof neben dem Betriebsgebäude spielten und oft von der Familie Eberhardt Süßigkeiten bekamen. Herr und Frau Eberhardt und die Tochter waren bei den Anwohnern wegen ihrer Freundlichkeit und liebenswürdigen Art sehr beliebt. Da wurde auch der im Hof – neben dem Betriebsgebäude – gelagerte, oft noch warm und rauchend sowie geruchsvolle Enzianrest nicht kritisiert.

Mir ist noch in Erinnerung, dass der Enzianbetrieb der Familie Eberhardt ca. in den Jahren 1937–1938 stillgelegt wurde. Von der Familie Eberhardt hörten wir seitdem nichts mehr. Ich schreibe ihnen deshalb, weil mich der Verbleib der Familie Eberhardt sehr interessiert und der kleine Krug vielleicht an die Nachkommen der Familie Eberhardt zurückgegeben werden könnte.“

Tatsächlich kennen wir einen Nachfahren. Joseph Maran, ein Urenkel des Firmengründers, ist Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Heidelberg, sammelt Erinnerungsstücke an die Enzianbrennerei und hat auch einen Artikel über seine Vorfahren geschrieben. Wir haben ihm von dem Schreiben aus dem Münchenstift berichtet. Er meinte, das Enzianschnapskrügerl sei in unserem Museum besser aufgehoben. Darüber freuen wir uns sehr. So wird unsere Sammlung wieder um ein Exponat bereichert, in dem sich Münchner jüdische Geschichte und Münchner Tradition gleichermaßen widerspiegeln.