Aus dem Homeoffice (6) – Kurt Landauer und seine Spieler

„Zeiten ändern sich – Der Mythos bleibt.“ – Seit ich mit meinem Sohn im Homeoffice bin, kommen wir täglich an dieser Werbesäule an der Wittelsbacher Brücke vorbei. Während mein Sohn ruft „Serge Gnabry, ja!“, denke ich kurz an die Briefe von Kurt und Maria Landauer, an deren Veröffentlichung ich für das Jüdische Museum München arbeite.
Foto: privat
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Auf dem Plakat zum 120. Geburtstag des FC Bayern München ist unten die Meister-Mannschaft von 1932 zu sehen, unter anderem mit den Spielern Oskar Rohr, Ludwig Goldbrunner und Josef Bergmaier. Diese drei Namen kommen auch in einem Brief von Kurt Landauer vor. Der ehemalige Präsident des FC Bayern schrieb am 9. April 1947 noch aus der Emigration in Genf an seine spätere Frau Maria:

Gefreut hat mich, dass ich die zwei Ostertage am Sportplatz sehr viel mit Italiens fußballgewaltigem Pozzo zusammen war, der die Mannschaft des F.C. Torino begleitet hat. Die jungen Italiener waren die Sieger des Turniers als weitaus beste Mannschaft, sie haben Fußball gespielt, dass einem das Herz im Leibe gelacht hat. Wunderbar einfach. Mit Pozzo zusammen zu sein, ist immer ein Hochgenuß, denn er ist der „Fußballwelt-Weise“. Er kennt jeden internationalen Spieler aus allen Ländern und ich mußte ihm Auskunft geben über den Rohr, den Goldbrunner, den Bergmaier und wie sie alle heißen.

Die Spieler Oskar Rohr, Ludwig Goldbrunner, Josef Bergmaier und der Gewinn der deutsche Meisterschaft 1932 stehen für Kurt Landauers größten Erfolg als Präsident. Der verwandelte Elfmeter von Oskar Rohr im Finale ist in der Privatfilmaufnahme der ebenfalls geflohenen Bildhauerin Erna Weill (1904 in Frankfurt – 1996 in New York) im Leo Baeck Institut in New York nachzuschauen und von Alex Feuerherdt bearbeitet auf youtube, Minute 2:19:


Für die Kommentierung in der Briefedition ist interessant, wie sich diese Spieler der Meister-Mannschaft nach 1933, in der Zeit des Nationalsozialismus positionierten. Wie agierten Landauers Kollegen und Freunde im Vorstand des Vereins? Und schließlich, wie sehen die Begegnungen nach 1947 in München unter der überall vorgegebenen Prämisse des Vergessens aus?

Da Kurt Landauer erst 1939 aus München in die Schweiz emigriert ist, wusste er, dass der Stürmer Oskar Rohr (1912 in Mannheim – 1988 in Mannheim) 1933 zu Grasshoppers Zürich gewechselt war und 1934 zum Racing Club Strasbourg. Es war damals absehbar, dass es keine Berufsspieler im deutschen Fußball geben würde. Der Abwehrspieler Ludwig Goldbrunner setzte seine Karriere als FC Bayern-Spieler und deutscher Nationalspieler fort. Der Mittelstürmer Josef Bergmaier wechselte 1938 zum TSV 1860 München.

Im Fußball gab es wie in der übrigen Gesellschaft Deutsche als Mitläufer, Täter und Profiteure und außerdem als Juden verfolgte Deutsche, die diffamiert, deportiert und sogar ermordet wurden. Die Akten liegen in den Archiven. Die Recherchen zu einzelnen Biografien der Sportgeschichte werden immer umfassender. Um die Zeit von 1933 bis 1945 genauer zu beleuchten, ist das Bundesarchiv mit klassischen NS-Akten wie Mitgliederkartei der NSDAP interessant, aber auch die Staatsarchive, in denen u.a. die Entnazifizierungsakten aller Personen zu finden sind, die sich nach 1945 in den Zonen der Alliierten befanden. Zwar sind die Lesesäle der Archive im Moment geschlossen und Recherchereisen nicht möglich, aber viele Archivarinnen und Archivare arbeiten vor Ort oder im Homeoffice und unterstützen uns. Danke an das Bundesarchiv, Berlin und Koblenz, an das Staatsarchiv München, an das Landesarchiv Baden-Württemberg.

Übrigens, Vittorio Pozzo (1886 in Turin – 1968 in Ponderano), war von 1905 bis 1911 als Spieler bei Grasshoppers Zürich und beim FC Torino aktiv. Ab 1922 war er Trainer, zunächst beim FC Torino. Als italienischer Nationaltrainer gewann er unter der faschistischen Regierung Mussolinis 1934 und 1938 die Fußball-Weltmeisterschaft. Die Historikerin Petra Terhouven weist in ihrem Aufsatz „Fußballrausch im Faschismus. Die Weltmeisterschaft 1934 in Italien“ (2012) darauf hin, dass die WM 1934 das erste historische Beispiel war, „für die rücksichtslose Indienstnahme des modernen, internationalen Spielbetriebs zu dem Zweck, den Fußball einer aggressiven Ideologie unterzuordnen“ und dass der Nachlass des langjährigen Nationaltrainers Pozzo einer kritischen Aufarbeitung immer noch nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Landauer FC Bayern
Foto: privat

Immer wenn ich aktuell an die Relevanz der Briefe von Kurt und Maria Landauer erinnert werde, hoffe ich, dass vielleicht jemand während #stayathome auf weitere Briefe oder Dokumente der FC Bayern-Spieler von 1932 stößt.

„Zeiten ändern sich“ – Ich bin irgendwann wieder im Jüdischen Museum München. Also melden Sie sich! Die Veröffentlichung der Briefe ist für März 2021 im Suhrkamp Verlag geplant.