Aus dem Homeoffice (9) ─ Ein architektonisches Juwel: Die Synagoge Reichenbachstraße wird restauriert

Wer sich rund um den Gärtnerplatz durch die Reichenbachstraße bewegt und den Blick auf die Häuserfassaden richtet, kann sehr schöne alte Bausubstanz erkennen und sich daran erfreuen. Doch unweit des imposant restaurierten Gärtnerplatztheaters stößt sich der betrachtende Blick vielleicht an einem Gebäude, an dem sich die Geister scheiden – „abweisend, unpassend, hässlich“ bis hin zu „irgendwie klassisch schick“. So oder so, das Gebäude der Reichenbachstr. 27 fällt auf. Der Grund für diese ganz anders anmutende Fassade ist ein durch und durch trauriger und wir haben Anfang des Jahres viel darüber berichtet.
Der Neubau in der Reichenbachstraße 27 – © Joshua Wilking
Der Neubau in der Reichenbachstraße 27 – © Joshua Wilking

Nach dem Ende des Nationalsozialismus und der Schoa wurde die Synagoge 1947 wieder eingeweiht und das Vordergebäude von der Israelitischen Kultusgemeinde als Gemeindehaus genutzt. Einige Wohnungen wurden sozial Bedürftigen und ältere Menschen innerhalb der jüdischen Gemeinde zur Verfügung gestellt. Am 13.2.1970 wurde auf das jüdische Gemeindehaus in der Reichenbachstraße 27 ein Brandanschlag verübt. Sieben Menschen sind bei diesem Anschlag grauenvoll ermordet worden, bis heute ist nicht geklärt, wer diese antisemitisch motivierte Tat begangen hat. Dieses vor genau 50 Jahren begangene Verbrechen scheint im Bewusstsein der Stadtgesellschaft vergessen und die Ermittlungen sind längst eingestellt. Das Gebäude war großflächig vom Feuer angegriffen und so entstand in den 1970er Jahren nun dieser Neubau, der sich nicht ganz so harmonisch in die Fassadenstruktur der Straße einfügt, ein architektonischer Stolperstein, wenn man so möchte…

Tatsächlich hat die Adresse noch mehr zu erzählen: Hier befindet sich im Hinterhof ein architektonisches Juwel: die Synagoge Reichenbachstraße. Ganz im Stil der Neuen Sachlichkeit im Jahr 1931 nach den Plänen des Architekten Gustav Meyerstein errichtet. Seit 2007, nach dem die Israelitische Kultusgemeinde mit Synagoge und Gemeindezentrum an den St.-Jakobs-Platz gezogen ist, stand das Gotteshaus leer und der Zahn der Zeit nagte kräftig an dem einzigartigen Bauwerk. Das wird sich nun bald ändern: in den kommenden Jahren soll die Synagoge umfangreich saniert werden und in ihren originären Zustand zurückgebaut werden, auch das darunter liegende Gewölbe einer einstigen Brauerei wird bei den Planungen einer Begegnungs,- Diskussions- und Veranstaltungsstätte für die Öffentlichkeit mit einbezogen.

Das Jüdische Museum München möchte diesen Prozess der Rekonstruktion der Synagoge dokumentarisch begleiten und die komplexe Geschichte dieses Ortes aufarbeiten und sichtbar machen. Denn tatsächlich liegen an dieser Hausnummer in der Reichenbachstraße zwischen den Mauern und Wänden Schicht über Schicht die Spuren jüdischer Kultur- und Stadtgeschichte. In der Isarvorstadt, rund um den Gärtnerplatz, haben sich nach 1900 immer mehr jüdische Familien niedergelassen, Geschäfte eröffnet, kleine Betstuben errichtet, ihr Leben gelebt. Das öffentliche Leben rund um den Gärtnerplatz war nach der Jahrhundertwende bis Ende der 1930er Jahren von dieser Vielseitigkeit und dem Miteinander geprägt. Vor allem Familien aus Osteuropa kamen vermehrt nach München, viele nur auf der Durchreise nach Übersee, aber einige entschieden sich in München zu bleiben. Sie flüchteten vor allem vor antisemitischen Pogromen aus Osteuropa und kamen aus großer sozialer Not. Die osteuropäischen jüdischen Familien akkulturierten sich weitgehend, nur in religiöser Hinsicht hielten vielen an den Traditionen ihrer einstigen Heimat fest, vor allem was die Art und Ausrichtung des Gottesdienstes betrifft. Anfang der 1920er Jahre taten sich zwei Betvereine zusammen und suchten neue Räumlichkeiten für ihre ständig steigende Zahl an Mitgliedern und stellten den Antrag im Rückgebäude der Reichenbachstraße, damals noch Nummer 9, eine gemeinsame Synagoge zu errichten. 1921 war es dann soweit, ein etwa 9 x12 Meter langer Raum (in der Öffentlichkeit auch „die Kegelbahn“ genannt) wurde zur neuen Synagoge.

Doch schon wenige Jahre später war auch dieser Betsaal wieder zu klein und 1930 wurde erneut ein Bauantrag gestellt. Der Betsaal wurde zu Gunsten eines größeren Gotteshauses abgerissen und durch den Architekten Gustav Meyerstein (1889–1975) die noch heute dort zu findende Synagoge errichtet. Ein durchaus festlicher Bau mit vielen reichen Farben und besonderen Stilelementen des Bauhaus‘.

Zeichnung vom Innenraum der Synagoge. Aus: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, Jg. 7. Nr. 18, S. 279-282

Leider sind bisher bei den Recherchen keine farbigen Aufnahmen gefunden worden. Der Architekt Meyerstein hat jedoch Zeichnungen angefertigt und es finden sich über die Einweihung der Synagoge zeitgenössische Beschreibungen in der Presse, wie diese hier zitierte aus dem Jüdischen Echo, die unserem inneren Auge die imposante Innenausstattung aufführt:

Der Blick wird gefesselt von der im satten Gelb strahlenden Marmorverkleidung […] der großen Nische, die den Aron-ha-Kodesch [Thoraschrein] in sich birgt. Der türkisblaue Ton der Wände steht hierzu in einem angenehmen Farbkontrast, der durch die cremefarbene Decke und die gleichgetönte weit hereinragende Brüstung der Frauenempore überbrückt wird. […] An den Abenden sorgen Lichtquellen in Mattglaskugeln und mächtige, auch dekorativ gut wirkende Lichtsäulen für ausreichende Beleuchtung. So wird […] eine goldene Lichtfülle im Raume lagern, die von dem warmen Braun des eigens für diesen Raum vom Architekten entworfenen Gestühls aufgenommen wird. Einen besonderen Schmuck erhält der Saal durch die in wirksamen zarten Farben gehaltenen Glasfenster, die nach den Entwürfen des Herrn Meyerstein geschaffen und von einigen Damen der Synagoge gestiftet worden sind. […]

Das Jüdische Echo, 1931, Jg. 18, Nr. 6, S. 498-501
Der zerstörte Innenraum der Synagoge nach dem 9. November 1938 – © Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv

Die Synagoge wurde 1938 verwüstet, das Feuer, das die Nationalsozialisten dort legten, wurde wegen der Gefahr für die umliegenden Gebäude gleich wieder gelöscht, aber die Synagoge wurde entweiht und in den darauffolgenden Jahren zweckentfremdet.

Nach 1947 konnte die Jüdische Gemeinde, die zu dem Zeitpunkt aus wenigen Überlebenden der Schoa und sogenannten Displaced Persons bestand, die Synagoge wieder einweihen und sie wurde zur Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bis zum bereits erwähnten Umzug 2006/2007. Hausherrin dieser Synagoge, die seit 2007 unter Denkmalschutz steht, ist nach wie vor die Israelitische Kultusgemeinde. Der Verein Synagoge Reichenbachstraße e.V., dessen Vorsitz unter anderem Rachel Salamander innehat, ist für die anstehende Sanierung verantwortlich und betreut das Vorhaben, das nun in diesem Frühjahr beginnen wird. Corona hat auch hier seine Finger im Spiel und so verzögert sich der Beginn der Bauarbeiten noch etwas.

Im Zuge dieser Sanierung wird noch ein längst überfälliges Vorhaben umgesetzt: Mit Unterstützung der Stadt München soll ein Erinnerungszeichen für die Opfer des Brandanschlags aus dem Jahr 1970 entworfen und errichtet werden, nicht innerhalb des Gebäudekomplexes, wie es bisher gelöst war, sondern mittendrin im trubeligen Leben des Gärtnerplatzviertels, auf dem Bürgersteig, für alle Vorbeigehenden sichtbar und erfahrbar. Es ist also einiges im Umbruch und Aufbruch in der Reichenbachstraße 27. Diese Adresse wird an Bedeutung für die Stadt gewinnen.