Bayerisch-Koscher. Die einheimischen Speisen des süddeutschen Judentums

Die Essgewohnheiten der Menschen spiegeln etwas von deren Geschichte wider. Diese Aussage trifft auch auf die deutsch-jüdische Küche zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu. In vier Blogbeiträgen wird das „Kochbuch für die einfache und feine jüdische Küche“ von Marie Elsasser, das 1905 entstand, näher vorgestellt.
Einband der dritten Auflage von Marie Elsasser’s Kochbuch [1905]. Frankfurt 1921
Einband der dritten Auflage von Marie Elsasser’s Kochbuch [1905]. Frankfurt 1921

Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stand das traditionelle jüdische Leben in Deutschland vor neuen Herausforderungen, die die Moderne mit sich brachte. Die Welt veränderte sich schnell. Auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen wurden durch den wirtschaftlichen und sozialen Wandel verändert. Die Verkehrserschließung durch die Eisenbahn sorgte für eine preiswertere Verbreitung von Nahrungsmitteln und minderte den Zwang zur Selbstversorgung. Fleisch- und Fischkonsum stieg rasant. Exotische, koloniale Waren, solche wie Kakaobohnen und Kokosnüsse, bekamen eine immense Verbreitung. Konservierte Nahrungsmittel sind auch populärer geworden. All dies sorgte dafür, dass die Vorbereitung und der Konsum von Speisen in Deutschland neu definiert wurden. Das deutsche Verlagswesen antwortete darauf mit der Veröffentlichung einer großen Anzahl von Kochbüchern, die nun in vielen Haushalten zu finden waren.

Auch die in Bayern lebenden jüdischen Familien entwickelten eine spezielle, moderne süddeutsche Küche, die aber den traditionellen religiösen Speisegesetzen des Judentums (Kaschrut כַּשְרוּת) entsprach. Die Jüdinnen und Juden Süddeutschlands verzehrten koscheren Kartoffelsalat mit koscherem Kalbsbraten und aßen koschere Kastaniencrème zum Nachtisch. Auch innerhalb des deutschen Judentums wurden Kochbücher populär. Eines davon ist das „Kochbuch für die einfache und feine jüdische Küche“ von Marie Elsasser (1905) und umfasst fast 4.000 Rezepte der süddeutschen jüdischen Küche. Interessant an diesem Buch ist der Versuch der Autorin die jüdisch-traditionelle Küche zu modernisieren.

„Das vorliegende Werk ist das Ergebnis jahrelangen Mühens und Schaffens. Nicht etwa ein Mangel an jüdischen Kochbüchern gab der Verfasserin den Wunsch zu diesem Werke ein, sondern die Überzeugung, dass die bisherigen Kochbücher, obwohl von praktischen und tüchtigen Köchinnen verfaßt, doch nur in dem engen Rahmen des Altgewohnten sich bewegen.“

Unter anderem plädierte Marie Elsasser für den Verzehr des neuen Pflanzenfetts. Insbesondere wirbt sie für Koscher-Palmin, also Kokosfett. Palmin wird in den Rezepten als Ersatz für Butter benutzt.

„Es kann also bei sämtlichen Rezepten des Buches, in denen Butter vorgeschrieben ist, an Stelle dieser das gleiche Quantum Koscher-Palmona genommen werden.“

Mit der Annahme, dass die jüdischen Speisegesetze eine strikte Trennung zwischen milchigen und fleischigen Lebensmitteln postulieren, wird Palmin sehr oft als Alternative zur Butter, insbesondere bei Zubereitung vom Saucen und Gebäck vorgeschlagen.

Zum Beispiel:

Senfsauce, gewöhnlicher Art: 

„In heißem Abschöpffett dämpft man 2 Eßlöffel Mehl und 1 Stück Zucker gelb, schmeißt 1 Eßlöffel fein geschnittene Zwiebeln darin, bis dieselben Farbe haben, füllt mit Fleischbrühe auf, würzt mir Salz, Pfeffer, 1 Lorbeerblatt und Nelken, kocht die Sauce 1/2 Stunde, treibt die durch ein Haarsieb und gibt kurz vor dem Servieren 2 Eßlöffel französischen Senf darunter. Wird zum Suppenfleisch serviert. Gerne mit Palmin.“

Meerrettichsauce, süß-sauer:

„In heißem Gans-, Fleisch-, oder Abschöpffett schmilzt man 1 Kochlöffel Mehl gelbbraun, löscht mit halb Fleischbrühe, halb Essig ab, gibt 1/2 Stange geriebenen Meerrettich, sowie etwas Kochzucker hinein und läßt die Sauce gut auskochen. Der Zucker kann auch zuvor gebräunt werden. (An Ostern Mazzenmehl) Ebenso mit Palmin.“