Das Jüdische Museum: Ein Ort der Begegnung – trotz „physical distancing“?

Im Rahmen von #danachdenken stellen wir uns diese Woche der Frage, ob und wie sich das veränderte Verhältnis von Nähe und Distanz auf die Ausstellungsgestaltung auswirkt. Lassen sich unsere Ausstellungen zu jüdischer Geschichte und Kultur immer noch – im wahrsten Sinne des Wortes – greifbar machen?
Plakat zum richtigen im Verhalten im Museum. Bereitgestellt vom Deutschen Museumsbund.
Plakat zum richtigen im Verhalten im Museum. Bereitgestellt vom Deutschen Museumsbund.

Das Jüdische Museum München versteht sich explizit auch als Ort der Begegnung, an dem soziale Distanz überwunden werden soll. In dem Bemühen Vorurteile abzubauen, laden wir unsere Besucher*innen durch unsere Ausstellungen, Vermittlungs- und Veranstaltungsangebote dazu ein sich aktiv mit jüdischer Kultur und Geschichte auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund ist bereits in der Raumaufteilung des Museums Platz geschaffen worden für eine Präsenzbibliothek, die es Besucher*innen ermöglicht sich selbstständig vertiefend mit den sie interessierenden Themen auseinanderzusetzen.

Auch in unsere Ausstellungsgestaltung fließt dieser Anspruch immer wieder mit ein. Selbstverständlich kommt auch die klassische Ausstellungsvitrine zum Tragen: Ein fein gearbeitetes, historisch wertvolles Toraschild oder eine außergewöhnliche Zeichnung sind Objekte, die auf Betrachter*innen Faszination ausüben. Ebenso dienen ausgestellte Objekte auch einer ersten Annäherung für viele an weniger bekannte Themen der jüdischen Kulturgeschichte und Religion. Doch besteht dabei auch die Gefahr, dass durch die Distanz, die eine Vitrine als physische Barriere schafft, ein Gefühl der Fremde bestehen bleibt. Das Objekt und damit auch seine Botschaft oder dessen Nutzung bleibt durch den Schutz hinter Glas etwas Besonderes, schützenswertes, dem sich nicht alle einfach nähern dürfen, sondern nur vermeintlich „Eingeweihte“. Um einem solchen Effekt vorzubeugen, werden gerade im Bereich der Alltagsgeschichte jüdischer Religion Hands-On-Stationen in Ausstellungen integriert. Auch in unserer Dauerausstellung stehen verschiedene Repliken bereit, die in die Hand genommen und ausprobiert werden können: Eine aufrollbare Miniatur-Tora verdeutlicht die Länge selbiger. Mit einer Ratsche kann ausprobiert werden wie effektiv sich der Name Hamans während des Purim-Festes tatsächlich übertönen lässt. So wird die Distanz zwischen Besucher*in und Objekt ein stückweit überwunden und stattdessen eine größtmögliche Nähe geschaffen.

Ursprünglich geplantes Lesecafé in der aktuellen Wechselausstellung. © Franz Kimmel

Auch in unserer aktuellen Wechselausstellung „Von der Isar nach Jerusalem – Gabriella Rosenthal (1913-1975) – Zeichnungen“ ist eine interaktive Station integriert: Ein kleines Lesecafé lädt dazu ein in Repliken der Jüdischen Rundschau zu blättern und die dort erschienenen Zeichnungen Gabriella Rosenthals zu betrachten. So kann die Zeichnung ihre Wirkung in ihrem originalen Medium entfalten, statt ausschließlich ihrem ursprünglichen Kontext enthoben in der Ausstellung präsentiert zu werden. Zudem kann man in dem Café in einigen von Gabriella Rosenthal verfassten Texten stöbern. So wird eine weitere Facette dieser bemerkenswerten Frau greifbar. Man kann sich auf verschiedensten Ebenen in die Künstlerin hineinversetzen und ihr näher kommen.

Dieses „sich näher kommen“ setzt allerdings auch eine physische Nähe voraus, deren Bewertung in unserer Gesellschaft sich in der letzten Zeit drastisch geändert hat. Über die letzten Wochen haben wir unseren Habitus an die Corona-Pandemie angepasst: Zwar wird kein „social distancing“ praktiziert, aber „physical distancing“ gehört mittlerweile wie selbstverständlich zu unserem Alltag.

Der Anspruch an unsere Arbeit als Museum hat sich jedoch nicht geändert: Noch immer wollen wir ein Ort der Begegnung sein, wollen Menschen zusammenbringen und vor allem eine „informative Nähe“ schaffen. Wir legen weiterhin Wert darauf soziale Distanz abzubauen, beispielsweise zu gesellschaftlichen Minderheiten. Daher ist es für uns besonders wichtig den derzeit allgegenwärtigen Begriff der „Distanz“ zu relativieren und zu verdeutlichen, dass es sich ausschließlich um eine physische Distanz handelt.

Denn natürlich liegen uns die Sicherheit und die Gesundheit unserer Besucher*innen ebenso am Herzen. Wir können Konzepte wie Hands-On-Stationen, Lesecafés und Bibliotheken folglich nicht einfach wie gewohnt beibehalten. Zumindest in nächster Zeit müssen wir zuerst einmal Distanz schaffen, um überhaupt Nähe ermöglichen zu können. Die Kontrolle des Besucherflusses sowie das Tragen von Atemschutzmasken gehören definitiv dazu. Darüber hinaus dürfen die Elemente der Hands-On-Stationen vorerst nicht berührt werden und auch die Bibliothek sowie das für die Sonderausstellung geplante Lesecafé sind nicht zugänglich.

Auch nach Entwarnung und Aufhebung der offiziellen Hygieneregeln, könnte uns diese Verschiebung im Verhältnis von Nähe und Distanz in kommenden Ausstellungen noch begleiten. Je nachdem wie sehr sich der Habitus des „physical distancing“ verfestigt, stellt sich die Frage, wann sich Besucher*innen wieder wohl dabei fühlen öffentlich zugängliche Objekte zu berühren. Wie lange wird es dauern, bis wir in der Dauerausstellung wieder das charakteristische Geräusch der Ratsche hören? Wird in Zukunft von Besucher*innen mehr Platz zwischen den einzelnen Objekten gefordert werden, damit sie sich wohlfühlen? Wie viele Menschen können sich gleichzeitig in einem Ausstellungsraum aufhalten, ohne dass sich jemand unwohl fühlt?

Diese Fragen werden uns bei der Gestaltung kommender Ausstellungen weiter beschäftigen: Wie also können wir weiterhin einen Ort der Begegnung schaffen und gleichzeitig eine Distanz aufrechterhalten? Zumindest für die nächste Zeit liegt die Antwort wohl in der Frage: Nur indem wir bewusst Distanz ermöglichen, ermöglichen wir auch Begegnung. Diese wird stärker reglementiert sein als bisher – Kontrolle des Besucherflusses, Aufforderung zur Desinfektion der Hände und zum Tragen einer Atemschutzmaske – aber nur durch die Einschränkungen und Reglementierungen kann Nähe wieder positiv erfahren werden. Inwieweit sich dies in der Gestaltung kommender Ausstellungen bewusst oder unbewusst niederschlägt wird sich zeigen. Sicher ist nur, dass wir weiterhin bemüht sein werden zur Begegnung mit jüdischer Kultur, Religion und Geschichte anzuregen.

2 thoughts on “Das Jüdische Museum: Ein Ort der Begegnung – trotz „physical distancing“?

  1. Wie kann man Kontakt ermöglichen, wenn Ansteckung droht?

    Da sehe ich einen ganz einfachen Weg:
    Ansteckung droht immer dann, wenn ich als Berührer nicht weiß, wer dieses Ding vorher berührt hat. Aber ich kann problemlos Sachen berühren, wenn sie vorher offen ersichtlich noch niemand berührt, oder auch nur beschnauft, hat.

    Also ermögliche ich in einer Ausstellung den Besuchern, zumindest mit Dingen Kontakt aufzunehmen, die neu und frisch sind. Um die Ausstellung durch immer neue Gegenstände nicht aus dem Konzept zu führen, können die Besucher diese Dinge mitnehmen, oder müssen sie alternativ zumindest nach dem Kontakt in der Ausstellung entsorgen.

    Für ein jüdisches Museum würde sich anbieten:
    – einfache Einmal-Kippas für Männer
    – Ratschen, oder Treidel, für Kinder
    – aktuell Fotokopien von Zeichnungen von G.R.
    – etc.

    Ja, ich weiß schon:
    – die Kosten!
    – das Copyright!

    Aber ich sag es mal klar: In Zeiten von Corona, zu denen man Milliarden Euros so einfach und ohne Bedenken aus dem Boden stampft, der Staat also offensichtlich seine Gelddruckmaschinen heißlaufen läßt, sollten die paar Euros doch eher einfacher zu beschaffen sein.

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