Filmische Darstellungen jüdisch-orthodoxen Lebens beziehen ihre Spannung häufig aus der Kollision religiöser und säkularer Milieus. Der 2017 viel diskutierte Dokumentarfilm „One of us“ (Netflix) etwa zeigt Jüdinnen und Juden, die sich von ihren streng orthodoxen Communitys abwenden. Dieser dokumentierte Bruch mit der eigenen anerzogenen und gelebten Religiosität wird hier als scheinbar einziger Ausweg aus einem als zu eng empfundenen Rahmen frommen Lebens inszeniert und führt für die Zuschauenden so zu einem erwartbaren Handlungsverlauf. Viele Filmschaffende widersetzen sich aber auch immer wieder dieser Erwartung. Die beliebte israelische Fernsehserie „Shtisel“ zeigt beispielsweise ihre Figuren als Menschen mit Sorgen und Nöten, Wünschen und Hoffnungen, die sie innerhalb ihrer orthodoxen religiösen Gemeinschaft durchleben. Das besondere an diesem filmischen Zugang ist die Innenperspektive, in der eine säkulare Alternative gar nicht vorkommt.
Auch Paula Eiselt ist mit ihrem Debütfilm „93Queen“ eine solche Perspektive gelungen. Vier Jahre lang begleitete sie die Gruppe um Rachel „Ruchie“ Freier bei der Gründung von Ezras Nashim: einem Rettungsdienst von orthodoxen Frauen für orthodoxe Frauen. Zwar dürfen sich Frauen, die sich an die jüdisch-religiösen Gesetze halten, in lebensbedrohlichen Situationen von einem Mann behandeln lassen. Viele schrecken jedoch davor zurück, männliche Sanitäter zu Hilfe zu rufen. Weibliche, jüdisch-orthodoxe Sanitäterinnen gibt es in Borough Park bislang nicht. Dies wollen Ruchie und ihre Mitstreiterinnen ändern – auch gegen massiven Widerstand innerhalb der eigenen Community.
Die Gründung des Rettungsdienstes als feministischen Akt zu lesen, lehnen diese Frauen jedoch ab. Ruchie gehe es nicht um eine Gleichheit zwischen Mann und Frau, erklärt sie. Sie sei sogar sehr zufrieden mit ihrer Rolle als Frau. Nur in einer Szene, als sie morgens um drei Uhr das Abendessen für die achtköpfige Familie zubereitet, scheint sie zu hadern. Wäre sie ein Mann, gibt sie zu, hätte sie nicht halb so viele Sorgen. Mit den klassischen Kategorien des säkularen Feminismus kann man das Anliegen Ruchie Freiers nicht begründen.
Auch auf Konzepte eines jüdisch-orthodoxen Feminismus bezieht sie sich nicht. Dieser argumentiert, dass im jüdischen Religionsgesetz die strengen Genderrollen nur zum Teil verankert seien. Wie in anderen Gemeinschaften, ist vieles von dem, was eine jüdisch-orthodoxe Frau tun und nicht tun soll, das Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen und historischer Entwicklungen. Blu Greenberg, eine Wegbereiterin des jüdisch-orthodoxen Feminismus, beschreibt den Widerstand, auf den sie und ihre Mitstreiterinnen meist stoßen, mit den Worten: „Es ist nicht gegen das Gesetz, aber es gehört sich nicht.“
Ähnlich geht es den Frauen von Ezras Nashim. Obwohl sie aus religiöser Überzeugung handeln, nimmt ein Teil der Community den Rettungsdienst als einen Angriff auf die streng orthodoxe Lebenswelt wahr. Die Frauen müssen sich Hasskommentaren im Internet und auf der Straße aussetzen. Unterstützung durch einen Rabbiner finden sie nicht. Und auch innerhalb der Gruppe herrscht nicht immer Einigkeit: Kompromisse, die Ruchie eingeht, um dem Widerstand entgegenzukommen, gehen anderen Mitgliedern zu weit. Auch innerhalb der Gruppe herrschen also verschiedene Vorstellungen von der Rolle als Frau.
„93Queen“ beleuchtet den Alltag und das Selbstverständnis einer Gruppe chassidischer Frauen aus deren Perspektive und zeigt, dass ein Wandel auch innerhalb einer streng orthodoxen Community möglich ist.
„93Queen“ ist am 9., 12. und 14. Mai 2019 auf dem DOK.fest München zu sehen. Alle Termine und weitere Informationen finden Sie hier.
Filmtrailer:
Text von Kerstin Baur und Lara Theobalt
Beitragsbild: Ruchie Freier (4.v.l.) und das Team von Ezras Nashim