Das Tagebuch des Soldaten Lebrecht jetzt auch im Blog

Paul Lebrecht diente als einer der 100 000 jüdischen Männer im Ersten Weltkrieg. Seine Kriegserlebnisse, Gefühle und Gedanken schrieb er detailliert und ausführlich in seinem Tagebuch nieder. Das Jüdische Museum München präsentiert im Zuge der Ausstellung „Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914-1918“ erstmals Ausschnitte aus Paul Lebrechts Tagebuch. Auf vielfachen Wunsch haben wir die Seiten in einem E-Paper publiziert.
Paul Lebrecht im Photostudio, 1916
Paul Lebrecht (1882-1938) kam im Alter von 34 Jahren erstmals an die Front. Er entstammt einer bürgerlichen deutsch-jüdischen Familie und führte vor dem Krieg gemeinsam mit seinem Vater eine Belchgroßhandlung. Im Sommer 1916 berief man ihn an die Westfront in Elsaß-Lothringen. Im Oktober bereits wurde er an die rumänische Front versetzt, um dann im Frühling 1918 wiederum nach Frankreich zurückgeschickt zu werden. Dort nahm er an den finalen Entscheidungsschlachten des Kriegs teil und erlebte im November desselben Jahres die endgültige Niederlage mit.

Lebrecht diente in diesen Jahren vorwiegend als Telefonist. Aber auch als Spezialist für Gefechtsordonnanz, was ihn an die vorderste Front führte. Sein Tagebuch beschreibt die alltäglichen und häufig banalen Probleme, den Kriegsbeschuss, die Trennung von Frau und Familie aber auch die Kameradschaftserlebnisse. Als Soldat jüdischer Herkunft spielte das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den deutschen Kameraden eine essentielle Rolle im eigenen Selbstverständnis. Lebrecht sah sich in erster Linie als pflichtbewusster deutscher Soldat und nicht als Jude. Den Antisemitismus an der Front erlebte er als relativ gering. Doch die Katastrophe des Krieges zerstört bald viele Freundschaften.

„Alle lagen an einem kleinen Fleck beisammen teil mit abgerissenen Füssen, Eingeweide heraushängend, da eine Hand herumliegend, dort Blutlachen“

Im zunehmenden Verlauf des Krieges wandelt sich Paul Lebrechts Optimismus und Idealismus zunehmend in Zynismus, Ernüchterung und bloßen Überlebenswillen. Er und seine Kameraden gehen immer gleichgültiger mit der Gewalt um. Lebrecht aber glaubt weiterhin an die Verteidigung des Vaterlandes und schiebt die Schuld für Not und Elend dem Militarismus und der Idiotie der Generäle zu.

Die Ankündigung des Waffenstillstands am 11. November 1918  beschreibt Lebrecht „wie einen Traum“.  Er ist froh körperlich unversehrt und gesund heimzukehren: „Mein Optimismus hat mich zwar in politischer Beziehung, nicht aber in persönlicher Beziehung betrogen“ schreibt er im Tagebuch. Doch das Leben sollte nie wieder normale Bahnen annehmen.

Mitte der 30er Jahre versucht er erfolglos sein Werk an die Weltkriegsbücherei in Stuttgart (heute Bibliothek für Zeitgeschichte) zu verkaufen. Seine Kriegsverdienste schützen ihn im erstarkenden Nationalsozialismus nicht vor antisemitischen Anfeindungen. In der Reichsprogromnacht wird Paul Lebrecht schließlich angegriffen und zusammengeschlagen. Den Verletzungen erliegt er zwei Tage später am 11. November 1938 – ausgerechnet am 20. Jahrestag der Waffenstillstandsankündigung.