Familienbilder: Ausstellungsbesuch mit Urenkel Thomas Heinemann

Thomas Heinemann aus London hat unsere Ausstellung „Bildgeschichten“ besucht. Für ihn erzählen zwei der ausgestellten Bilderpaare auch ein Stück Familiengeschichte.
Thomas Heinemann steht vor den beiden Porträts von Ida und Josef Schülein und lächelt in die Kamera.
Thomas Heinemann in der Ausstellung „Bildgeschichten“ vor den Porträts seiner Urgroßeltern Ida und Josef Schülein, Februar 2025, Foto: JMM

Im Mai 2024, kurz nach Eröffnung unserer Ausstellung „Bildgeschichten. Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt“, erhielten wir eine E-Mail aus London: Thomas Heinemann, ein Nachkomme des Münchner Porträtmalers und Galeristen David Heinemann, wollte wissen, ob Bilder seines Urgroßvaters in der Schau zu sehen sind. Tatsächlich machte er in der Begleitpublikation eine weitere Entdeckung: Auch sein anderer Urgroßvater, der Brauereibesitzer Josef Schülein, und dessen Frau Ida waren Teil der Ausstellung. Das nahm er zum Anlass, um uns gemeinsam mit seiner Frau Daria in der vergangenen Woche zu besuchen.

Münchner Kindheitserinnerungen

Thomas Heinemann wurde 1931 in München geboren. Hier verbrachte er seine ersten sieben Lebensjahre – im Wohn- und Geschäftshaus seiner Familie am Lenbachplatz. Direkt gegenüber befand sich der Wittelsbacher Brunnen, erinnert sich Heinemann gut, denn in diesen war er als kleiner Bub einmal hineingefallen. Seine Eltern führten gemeinsam mit der Großmutter Franziska Heinemann die Kunstgalerie, die mit ihren Niederlassungen in Frankfurt a. M., Nizza und New York zu den bedeutendsten Galerien im deutschsprachigen Raum zählte.

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt das mehrstöckige freistehende Geschäftshaus der Firma Heinemann am Lenbachplatz. Es ist mit Girlanden geschmückt. Davor sind mehrere Passant*innen zu sehen.
Neubau der Galerie Heinemann im Festschmuck, rechts Wittelsbacher Brunnen, ca. 1910, Foto: Stadtarchiv München, CC BY-ND 4.0

Franziska Heinemann war nicht nur das Bindeglied zwischen zwei der angesehensten jüdischen Familien in München, sondern eine erfolgreiche Geschäftsfrau. „Kein Wunder,“ so Heinemann, „sie war ja eine geborene Schülein!“ 1882 als Tochter von Ida und Josef Schülein geboren, heiratete sie 1904 den Galeristen Theobald Heinemann. Nach dessen Tod im Jahr 1929 übernahm die Witwe das Geschäft und führte es erfolgreich bis zur Zwangsenteignung 1938. Kurze Zeit später floh sie über die Schweiz nach New York, wo sie 1940 verstarb.

Thomas Heinemann emigrierte 1938 mit seinen Eltern in die Schweiz. Nach dem frühen Tod seiner Mutter lebte er kurz beim Vater und anschließend in einem Schweizer Internat. 1948 holte ihn ein Onkel nach Oxford. Heute lebt er in London. (Mehr zur Biografie von Thomas „Tom“ Heinemann im Projekt „Refugee Voices“ der Association of Jewish Refugees.)

Ida und Josef Schülein

Seinen Urgroßvater besuchte Thomas Heinemann als Kind regelmäßig auf Schloss Kaltenberg. Dort verbrachte Josef Schülein seine letzten Lebensjahre. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten war er gezwungen worden, aus dem Aufsichtsrat der Löwenbräu AG auszutreten. Er zog sich auf das Schloss Kaltenberg zurück, das sich seit 1916 in Familienbesitz befand. Gemeinsam mit seinem Sohn Fritz betrieb er dort eine kleine Brauerei, bis er 1938 starb; Fritz Schülein wurde während der Novemberpogrome in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Nach seiner Freilassung gelang ihm die Ausreise in die USA, wo bereits mehrere seiner Geschwister lebten und wieder im Brauereigewerbe tätig waren.

Josef Schüleins Porträt kannte Thomas Heinemann bisher nur von Abbildungen. Es war 2016 schon einmal in der Ausstellung „Bier ist der Wein dieses Landes. Jüdische Braugeschichten“ im Jüdischen Museum München gezeigt worden. Gemalt hat es Schüleins Neffe, Julius W. Schülein. Thomas Heinemann findet, dass der Maler seinen Urgroßvater sehr gut getroffen habe, vor allem sein Lächeln. Ida Schüleins Porträt sieht der Urenkel zum ersten Mal. „Auch ein sehr schönes Porträt“, findet er und dass die Urgroßmutter neben ihrem Mann mit seinem Schlapphut wie eine vornehme Dame aussehe. Ida Schülein war bereits 1929 gestorben; der Urenkel hat sie nicht mehr kennengelernt. (Mehr zu Ida und Josef Schülein hier auf dem Blog nachlesen.)

Der Maler David Heinemann

Wir gehen vorbei an den Porträts der Familie Bernheimer – die die Nachbarn der Heinemanns am Lenbachplatz waren –, denn es gibt ein weiteres Bilderpaar, das Thomas Heinemann interessiert: Die beiden kleinformatigen Biedermeierporträts von Assur und Emilie Raff. Das Paar wurde 1842 von Thomas Heinemanns anderem Urgroßvater David Heinemann gemalt. Die Bilder gehören zu den frühen Arbeiten des Künstlers.

David Heinemann, später als Galerist weit über München hinaus bekannt, wurde 1819 in Schlipsheim bei Augsburg geboren. Er studierte zunächst bei Johann Geyer in Augsburg und schrieb sich 1838 an der Akademie der Bildenden Künste in München ein, wo er sich auf Porträtmalerei spezialisierte. Wir können davon ausgehen, dass es sich bei den Porträts des Ehepaars Raff um eine Auftragsarbeit handelte, da Heinemann in dieser Zeit sein Auskommen als Porträtmaler verdiente.

Auf zwei zusammengehörigen Ölporträts sind Assur und Emilie Raff als junges Paar zu sein. Er trägt einen dunklen Anzug und Fliege. Sie trägt ein dunkles schlichtes Kleid, eine Korallenhalskette und eine Spitzenhaube.
Porträts Assur und Emilie Raff, David Heinemann, 1842, JM 10.01/2021, JM 10.02/2021, Fotos: © Jüdisches Museum München, Foto: Eva Jünger

1872 gründete David Heinemann seine Kunstgalerie zunächst am Promenadeplatz (später Prinzregentenstraße). 1904 zog die Galerie in das Geschäftshaus am Lenbachplatz, wo Thomas Heinemann später aufwuchs. 1890 übernahmen David Heinemanns Söhne Theodor, Hermann und Theobald die Geschäfte. David Heinemann starb 1902 in München.

Viele von David Heinemanns Bildern sind heute nicht mehr erhalten, doch der Name Heinemann ist in der Welt der Kunstgeschichte bis heute wohlbekannt, denn die Geschäftsbücher und Karteien der Kunsthandlung sind eine wichtige Quelle für die Kunstwissenschaft und Provenienzforschung. 2010 wurde die Datenbank Galerie Heinemann online mit Informationen zu mehr als 43.000 Kunstwerken veröffentlicht. Zur Geschichte der Galerie siehe auch Birgit Jooss: Galerie Heinemann. Die wechselvolle Geschichte einer jüdischen Kunsthandlung zwischen 1872 und 1938 (PDF hier zum Download)

Todesanzeige für Herrn David Heinemann, Kunstmaler und Mitinhaber der D. Heinemann’schen Kunsthandlung.
Todesanzeige für David Heinemann, Münchner Neueste Nachrichten, 03.03.1902, Scan: Bayerische Staatsbibliothek/digiPress, Public Domain

Thomas Heinemann hat sich über Jahre intensiv mit seiner Familiengeschichte beschäftigt. Während des gemeinsamen Ausstellungsbesuchs kam er immer wieder ins Plaudern, fast als würden wir in einem Familienalbum blättern. Wir bedanken uns für den Besuch!