#FemaleHeritage: Zwei Künstlerinnen von der Isar

Einer einzigen Frau ist die derzeitige Wechselausstellung im Jüdischen Museum München gewidmet: „Von der Isar nach Jerusalem“ zeigt Zeichnungen von Gabriella Rosenthal (1913-1975). Doch Gabriella Rosenthal lebte und arbeitete nicht isoliert, sondern war mit anderen Personen vernetzt. Daher nutzen wir die Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur - #femaleheritage“ um nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Freundin Marie Luise Kohn (1904-1941) vorzustellen.
Gabriella Rosenthal: Skizze eines bayerischen Idylls, Datum unbekannt. Foto: © Franz Kimmel
Gabriella Rosenthal: Skizze eines bayerischen Idylls, Datum unbekannt. Foto: © Franz Kimmel

Kunst an der Isar

Gabriella Rosenthal lernte Marie Luise Kohn (Künstlername Maria Luiko) durch ihren Verlobten Schalom Ben-Chorin kennen. Nur kurz währte die persönliche Bekanntschaft, bevor Gabriella Rosenthal und Schalom Ben-Chorin direkt nach ihrer Hochzeit 1935 ins britische Mandatsgebiet Palästina auswanderten. Über Schalom Ben-Chorin und teilweise auch im direkten Austausch hielten die beiden Frauen dennoch brieflichen Kontakt, wobei hauptsächlich die Briefe Maria Luikos erhalten geblieben sind. Ein Thema, das die beiden Frauen verband war der familiäre Alltag. So hatte Maria Luiko beispielsweise trotz der Entfernung den 1936 geborenen Sohn Gabriella Rosenthals und Schalom Ben-Chorins fest ins Herz geschlossen und erkundigte sich regelmäßig nach seinem Befinden. Und dann war da natürlich noch die Kunst.

Beide fertigten bevorzugt Grafiken an – Maria Luiko vor allem Drucke, Gabriella Rosenthal Federzeichnungen – widmeten sich aber auch dem Kunstgewerbe. Gemeinsam mit Gabriella Rosenthals Schwester Nicoletta Rosenthal arbeitete Maria Luiko im Münchner Marionettentheater Jüdischer Künstler. Schalom Ben-Chorin verfasste Texte für einige der Stücke.

Beide Frauen räumten in ihrer Kunst vor allem den Menschen Platz ein, sie stellten Alltagsszenen dar und nahmen Stellung zu der sie umgebenden Gesellschaft. Dabei wirkte sich der Nationalsozialismus auf das Werk beider Frauen aus, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Während Gabriella Rosenthal nach der Emigration ihr Leben neu aufbauen musste, gelang es Maria Luiko nicht Deutschland zu verlassen. Sie war den Repressalien der nationalsozialistischen Herrschaft ausgeliefert und wurde schließlich mit ihrer Schwester und ihrer Mutter 1941 nach Kaunas (Litauen) deportiert. Sollten sie die Fahrt überlebt haben, wurden sie dort am 25. November 1941 bei den Erschießungsaktionen von Angehörigen des Einsatzkommandos 3 ermordet.

Maria Luiko: ohne Titel, ca. 1936, JM 02.32/2007. Foto: © Franz Kimmel

Während der nationalsozialistischen Herrschaft

Luiko hat einen radikalen Wandel der Lebensqualität miterlebt: 1923 konnte sie sich noch in die Münchner Akademie für Bildende Künste einschreiben, nachdem diese 1920/21 auch für Frauen geöffnet worden war. Doch schon 1933 erfolgte der Ausschluss aus dem Reichsverband der Deutschen Künstler und das Ausstellungsverbot.

Nach dem Ausschluss aus allen nicht-jüdischen Kunstvereinigungen blieb den Künstlerinnen und Künstlern jüdischer Herkunft nur das Engagement im Jüdischen Kulturbund, wenn sie überhaupt künstlerisch arbeiten wollten. Der Jüdische Kulturbund wurde stark von nationalsozialistischen Behörden kontrolliert und musste sein Repertoire auf jüdische Sujets beschränken. Auch das Münchner Marionettentheater Jüdischer Künstler, an dessen Gründung und Leitung Maria Luiko maßgeblich beteiligt war, war daher auf biblische Stücke beschränkt.

Stellungnahmen zur politischen und gesellschaftlichen Entwicklung waren unter diesen Umständen schwierig und finden sich vor allem in Luikos grafischer Arbeit: Der Großteil der erhaltenen Werke stammt aus den 1930er Jahren, als Luiko bereits nicht mehr ausstellen durfte. Sie zeigen Menschen in Alltagssituationen, die oftmals von Leid geprägt sind. Luikos Stil zeichnet sich durch überproportionierte Gesichter und Hände aus, was eine besondere Expressivität der Darstellungen bewirkt. Ihre Grafiken sind somit kaum verhüllte kritische Kommentare zur gesellschaftlichen Realität in den 1930er Jahren.

Gabriella Rosenthal: Frühlingstag, 1952. Foto: © Franz Kimmel

In der Emigration

Während Deutschland zur absoluten Konformität strebte, war das britische Mandatsgebiet Palästina in den 1930er Jahren ein großer Treffpunkt der Kulturen: Bereits in den 1880er Jahren waren zahlreiche jüdische Einwanderinnen und Einwanderer aus Russland vor Pogromen nach Palästina geflohen, hinzu kamen Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen der arabischen Welt und nicht zuletzt auch die Angehörigen der britischen Besatzungsmacht. Das Erstarken des Zionismus in Europa seit Ende des 19. Jahrhunderts sowie die zunehmende Bedrohung durch den Nationalsozialismus bewirkten weitere Einwanderungen aus verschiedenen Teilen Europas.

Als Gabriella Rosenthal in Haifa ankam und sich dann mit ihrem Mann in Jerusalem niederließ war sie fasziniert von dieser Vielfalt. Sie zeichnete Menschen, die ihr auf der Straße begegneten, Szenen interkulturellen Austauschs im alltäglichen Leben und die damit verbundenen Missverständnisse. Dabei gab sie keine Individuen wieder, sondern kreierte Typen und konnte so auf gröbere gesellschaftliche Strukturen verweisen. Gabriella Rosenthal kommentierte das zwischenmenschliche Miteinander in dem sie umgebenden interkulturellen Raum, wobei sie immer humor- aber dennoch liebevoll blieb.

Maria Luiko: ohne Titel, ca. 1936. Foto: © Franz Kimmel

Mit weiten Augen und offenem Herzen durch die Welt

Mit Gabriella Rosenthal und Maria Luiko sind wir mit zwei Künstlerinnen konfrontiert, deren Leben nachhaltig durch den Nationalsozialismus beeinflusst wurde, bis sie ihm schließlich zum Opfer fiel. Beide verarbeiteten und kommentierten ihre veränderten Lebensumstände in ihrer Kunst, sie präsentierten ihre ganz eigene Sichtweise auf ihre gesellschaftliche Realität. Dabei behandelten sie Themen, die auch heute noch relevant sind:

Konstant wies Maria Luiko in ihrem Werk auf das Leid ihrer Mitmenschen hin, sie griff die Stimmung verzweifelter Situationen auf und führte die Hilfslosigkeit und Ohnmacht der Betroffenen den Betrachtenden spürbar vor Augen. Ein Statement gegen die gesellschaftliche Ungerechtigkeit und die Gleichgültigkeit der Mitmenschen.

Auch Gabriella Rosenthal beschäftigte sich kritisch mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld, das jedoch nicht im gleichen Ausmaß von Leid geprägt war. Vielmehr kondensierte sie in ihren Zeichnungen Momente interkulturellen Austauschs in einem Land, das von Emigration geprägt war.

Womöglich waren es gerade dieser Fokus auf den Menschen und der wache, kritische Blick auf die Gesellschaft, weshalb die beiden Frauen auch nach der Emigration Gabriella Rosenthals ihre Freundschaft aufrecht erhielten. Ob es sich dabei um eine spezifisch weibliche Perspektive handelt ist eine Frage, deren Antwort eine umfassende Untersuchung der Grafiken der beiden Künstlerinnen voraussetzen würde. Sicher ist aber, dass es eine Perspektive ist, die auch heute noch Relevanz hat und Werte ausdrückt, die die Gesellschaft bereichern können. Daher ist es bedauerlich, dass beide Künstlerinnen aus dem Bewusstsein eines Großteils der modernen Gesellschaft beinahe verschwunden sind. Die Ausstellung „Von der Isar nach Jerusalem“, die zuerst im Centrum Judaicum – Stiftung Neue Synagoge, Berlin zu sehen war, versucht deshalb Gabriella Rosenthal wieder präsent zu machen, ebenso wie Maria Luiko im Rahmen weiter gefasster Ausstellungen im Münchner Stadtmuseum bereits Präsenz verschafft werden konnte. Auf diese Weise können Museen auch als Erinnerungsorte für #femaleheritage fungieren.