Die erste Frage, die sich wohl viele stellen: Wo lernt man heutzutage Jiddisch? In Deutschland wächst seit einigen Jahren das Interesse an Jiddisch und Sprachkurse an deutschen Unis erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Das hat auch mit der Popkultur, wie etwa der auf Deborah Feldmans Roman basierenden Netflix-Serie „Unorthodox“ zu tun, erklärte uns Jiddisch-Dozentin Dr. Evita Wiecki im Interview. Weltweit gibt es aber auch Angebote außerhalb der Uni. Forscherin und Podcasterin Sandra Fox hat Jiddisch im Rahmen der Yiddish Farm, einem Sommerprogramm im Bundesstaat New York, gelernt:
The farm offered a truly unique opportunity to experience living in Yiddish. Learning was 24/7, and occurred not only in the classroom, but in the kitchen, the field, or the bungalows where we slept. The motivation to absorb Yiddish vocabulary and grammar at the farm was very intense, and more concrete than in an academic summer program. We needed to learn as quickly as possible so that we could express ourselves, create relationships, and manage what had to get done in the field or the house.
Ein Programm mit einem ähnlichen Ansatz in Deutschland ist Yiddish Summer Weimar, einem Workshopprogramm, das seit 1999 in Weimar stattfindet. Auch hier kommen Teilnehmende aus der ganzen Welt zusammen und lernen Jiddisch außerhalb des Seminarraums, nämlich beim gemeinsamen Musizieren. In diesem Jahr startete Yiddish Summer Weimar mit „Generation J“ ein eigenes Programm für junge Leute. Alma Roggenbuck vom Orga-Team dazu:
Generation J ist ein Sommerkurs, Ferienlager, Machane – 10 Tage verbringen wir mit jungen Menschen aus aller Welt rund um Jiddisch. Dabei sind Leute, die mit Jiddisch als Erstsprache aufgewachsen sind, andere lernen mit uns die ersten Buchstaben. Sprache ist dabei nur ein Teil von dem, was wir unter Jiddisch verstehen – neben Theater, Literatur, Forschung, Musik, Film und mehr.
Dass Jiddisch mehr als eine Sprache ist, wissen vor allem diejenigen, die Jiddisch in der Familie gelernt haben. Schauspieler, Autor und Regisseur Mikhl Yashinsky hat Jiddisch von seiner Großmutter gelernt. Für ihn gehören Literatur, Filme und Rezepte genauso zum Jiddischen wie Grammatik und Vokabeln:
I first learned Yiddish in the Detroit home of my Gramma Liz, surrounded by her shelves of literary and cinematic Yiddish treasures. She was herself a “farbrente yidishistke,” an ardent Yiddishist. She performed in Yiddish, led Yiddish groups for fellow retirees, created Jewish art, baked mushroom knishes according to her mother-in-law’s hallowed recipe.
Später besuchte Mikhl Kurse des Yiddish Book Center, um sein Jiddisch zu verbessern und zu einem festen Bestandteil seines Lebens zu machen. In diesem Jahr war er Mitherausgeber des neuen Jiddisch-Lehrbuchs „In eynem“.
Jiddischland 2.0
Längst sind Jiddisch-Sprecher*innen auf der ganzen Welt miteinander vernetzt. Neben internationalen Summer-Schools treffen sich Lernende in Online-Sprachkursen und anderen digitalen Foren. Bloggerin Helena aus der Ukraine betreibt den Instagram-Account Yiddish Vinkl und berichtet:
Over time, Yiddish Vinkl has turned from a personal thing to a small community. As many people live part of their lives on social media, I can say that I have lots of my life there. I mean, there I have met new friends, we support each other, on the holidays we send gifts and greeting cards, it’s a very warm and supportive community.
Um Gemeinschaft geht es auch Sandra mit ihrem jiddischsprachigen feministischen Podcast Vaybertaytsh. In mittlerweile über 50 Folgen hat sie Jiddisch-Sprecher*innen aus ganz verschiedenen Bereichen getroffen: Von der Schoa-Überlebenden Sarah Bialis bis hin zu TikTok-Star Cameron Bernstein.
I started Vaybertaytsh because I believed that a focus on female, trans, and queer voices would inspire more Yiddish speakers across the spectrum to use the language in everyday life, and I am happy to say that I’ve seen that goal come to fruition. The last few years have brought about an explosion of young female and queer Yiddish voices on social media in particular.
Jiddisch und queer?
Queere Stimmen im Jiddischen sind kein neues Phänomen. Mikhl spielte die Hauptrolle in Avrom Goldfaden’s Operette „Di Kishefmakherin“ (Die Zauberin) am New Yorker National Yiddish Theatre Folksbiene – eine weibliche Rolle, die traditionell von Männern gespielt wird. Queer und jiddisch hat zumindest auf der Bühne eine lange Tradition:
From the lesbian kiss of “God of Vengeance” that landed the Broadway cast in an obscenity trial a century ago, to the drag clowning of Molly Picon and Pepi Litman, to the trans-universe, transgender, transgressive energies of Yiddish theatre’s most classic play, “The Dybbuk,” it’s always been a part of the scene.
An die jiddische Performerin Pepi Litman (1874? – 1930), die mit ihren Darbietungen in Männerkleidung heute als frühes Vorbild der Drag-Szene gilt, erinnert auch Alma. Charaktere wie Litman brechen mit klischeehaften Vorstellungen des Jiddischen:
Es ist schade, dass wir bei Jiddisch nur an Klezmer denken, und nicht an die jungen Menschen, die nach ihrer Befreiung 1945 aus Buchenwald in Thüringen einen Kibbuz gründeten, und sich auf ihre Alija vorbereiteten. Oder an das Jüdische Antifaschistische Komitee, jiddische Schriftsteller*innen, Theaterschaffende, Arbeiter*innen und Arbeitslose. Oder an Pepi Litman, jiddische Drag-Performerin der 1910er und 1920er Jahre. Das sind die Wurzeln, an die wir anknüpfen, und die uns jungen Menschen heute viel zeigen können.
Viel zu entdecken gibt es auch in der gegenwärtigen jiddischen Kultur, die sich bis heute in keine Schublade stecken lässt. Wir bedanken uns bei allen Interviewten für den Einblick!
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