Denn inzwischen hat Gaga die gesamte Tanzwelt erobert und ist auch in Münchener Tanzstudios angekommen. Dabei braucht man sich von dem Gedanken an die schwer nachzuahmenden Windungen einer Nudel im blubbernden Salzwasser nicht abschrecken zu lassen. Denn bei Gaga geht es gerade nicht um die möglichst korrekte Wiederholung einer Bewegung, sondern um das Durchbrechen bekannter Muster, die man sich im Alltag mit der Zeit angeeignet hat. Der Name lehnt sich an „Babysprache“ an und beschreibt damit das eigentliche Ziel, genau auf die eigenen Gefühle und Empfindungen zu hören, um diese im Anschluss über den Körper auszudrücken. Im Ergebnis kann das sehr schön und anmutig aussehen, muss es aber nicht unbedingt. Ähnlich wie das von Imrich Lichtenfeld entwickelte Selbstverteidigungssytem „Krav Maga“ („Kontaktkampf“) und die nach ihrem Erfinder Moshé Feldenkrais benannte Feldenkrais-Methode beruht auch Gaga vorrangig auf dem menschlichen Instinkt, geht von dem aus, was schon da ist. In Ergänzung zu unserer derzeit gezeigten Wechselausstellung „NEVER WALK ALONE. Jüdische Identitäten im Sport“ möchten wir in den kommenden Wochen hier diese drei in Israel entwickelten oder weiterentwickelten Bewegungstechniken in ihrem Münchener Kontext nacheinander vorstellen.
Die Tänzerin Anna Becher kam bereits in Berlin, der Stadt, die deutschlandweit wohl im regsten Austausch mit Tel Aviv steht, mit Gaga in Berührung und begann die Kurse nach ihrem Umzug nach München schnell zu vermissen. Seit etwa zwei Jahren bieten sie und Claudia Parra Weitzman nun regelmäßig Workshops an verschiedenen Orten in München an, die auf ein überraschend starkes und stetig wachsendes Interesse stoßen. „Zuerst haben wir uns Sorgen gemacht, ob der erste Kurs überhaupt zustande kommen wird.“, erzählt Anna: „Aber inzwischen gibt es zu jedem Workshop eine Warteliste.“
Was ist das Geheimnis, das Gaga so beliebt macht? Iris (54) und Hannah (26) sind extra aus Erlangen angereist, um an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gemeinsam mit der Kölner Gaga-Lehrerin Alejandra Jara am eigenen Körper zu erleben, was Gaga bewirken kann. Am Ende des ersten Tages macht sich eine wohlige Erschöpfung breit. „Mich hat an Gaga besonders fasziniert, dass es nicht gut aussehen muss.“, sagt Hannah und bringt damit eines der Grundprinzipien der Methode auf den Punkt. Blickt man sich in dem Tanzstudio „Tanztendenz“ in der Lindwurmstraße um, in dem an diesem Wochenende der Workshop stattfindet, fällt gleich auf, dass die Spiegel verhangen sind. Entsprechend ist es auch nicht erlaubt, bei einem der Kurse zuzuschauen, um den Teilnehmenden ein Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit zu geben. Während eines an die offiziellen Gaga-Stunden sich anschließenden Improvisationsteils, in dem das zuvor Gelernte nun frei angewendet werden konnte, war es jedoch ausnahmsweise möglich, einen Eindruck zu gewinnen.
Die Faszination für „Gaga“ ist zugleich auf den international erfolgreich gezeigten Film „Mr. Gaga“ zurückzuführen, den die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops gesehen hat: Im Zentrum steht die beeindruckende Geschichte des im israelischen Kibbuz Misra aufgewachsenen Naharin, der selbst erst im Alter von 22 Jahren eine Tanzausbildung begann. Nach einer schweren Rückenverletzung erarbeitete Naharin eine Bewegungsmethode, die ihm letztlich Heilung brachte: Gaga war geboren. Und wem jetzt noch immer gänzlich unklar ist, was das eigentlich bedeutet, möge sich Naharins eigene Definition zu Gemüte führen: „Wir lernen über uns selbst zu lachen. Wir lernen, unsere Leidenschaft mit der Kraft der Phantasie zu verbinden, während wir unsere körperlichen Fähigkeiten entwickeln.“ – oder es selbst einfach einmal ausprobieren!
Wie bereits im letzten Jahr wird der Film „Mr. Gaga“ auch im Rahmen des diesjährigen DOK.fests München vom 3. bis 14. Mai 2017 wieder gezeigt werden: Am Freitag, 6.5.2016, um 19.30 Uhr im ARRI Kino.