Das war knapp, noch eine ausholende Bewegung mehr und das Stuhlbein wäre von der Bühne gerutscht. Am Dienstagabend saßen die Philosophin Susan Neiman, die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun und der Theater- und Filmkritiker C. Bernd Sucher ziemlich dicht beisammen im Foyer des Jüdischen Museum München. Sie waren gekommen, um im Rahmen des XXII. Deutschen Kongress für Philosophie über die Frage nach Sinn und Notwendigkeit konstruierter Wahrnehmungen zu sprechen. Dabei stand das stereotype Denken über „das Jüdische“ im Vordergrund.
Es war kein einfaches Thema, lässt es sich doch schwer fassen und eingrenzen, was stereotypes Denken ausmacht. Schließlich gehören Vorurteile und Klischees zu unserem Alltag, bestimmen unser Handeln und unsere Entscheidungen.
Zu Beginn der Podiumsdiskussion, bei der C. Bernd Sucher die Moderation übernommen hatte, stand zunächst der Versuch einer Definition. „Was ist ein Stereotyp?“ Und schon begann das Stuhlbeinwackeln: Wie soll man jetzt…? Wo fängt man an…? Wo hört man auf…? Stimmt es nicht eigentlich, dass viele Juden gerne mit den Händen sprechen? Gibt es die „jiddische Mamme“ ? Sind solche Fragen Stereotype? Sind es schon Stigmata? Gibt es positive Stereotype?….
Ja-Nein-Antworten gibt es hier nicht und so war die Kulturwissenschaftlerin von Braun um eine grundsätzlichere Einbettung und Aufklärung an diesem Abend bemüht. Ihrer Meinung nach, diene das stereotype Denken zunächst einmal der Festigung des „Eigenen“, der eigenen Identität. Durch das Benennen und Einordnen des „Anderen“, sei eine Abgrenzung und Selbstfindung einfacher möglich. Diese Denkart kennen die meisten, sie sei im Grund genommen eine Orientierungshilfe, um mit der Außenwelt zurecht zu kommen. Die Frage, ob stereotypes Denken und Werte damit also „erlaubt“ seien oder nicht, ließ Christina von Braun zurecht offen. Ihr gehe es vielmehr darum, auf die unterschiedliche Tradierung antijüdischer Stereotype hinzuweisen und den kulturgeschichtlichen Nährboden deutlich zu machen, auf dem die erstaunlich langlebig und gleichzeitig erstaunlich wandelbaren Bilder über „die Juden“ in den letzten Jahrhunderten entstehen konnten.
Susan Neiman bereicherte den Abend durch persönliche Einblicke und Einschätzungen. Als amerikanische Jüdin, die seit über 20 Jahren in Deutschland lebt und lehrt, falle ihr immer wieder der angstvolle Umgang mit „jüdischen Themen“ in Deutschland auf. Es sei wie ein Zusammenzucken, ein Zurücktreten, als laufe man auf Eierschalen. Keine Leichtigkeit und Beiläufigkeit – das sei zwar angesichts der deutschen Geschichte nachvollziehbar, – dennoch sieht Susan Neiman dies als ein charakteristisches Merkmal der Deutschen im Umgang mit jüdischen Themen.
C. Bernd Sucher dagegen, der mit Anekdoten über sein eigenes Jüdischsein in Deutschland dem Abend unterhaltsame Momente schenkte, stellte immer wieder die Frage nach der „Unausweichlichkeit“ von Vorurteilen im täglichen Miteinander und bisweilen stand ihm das sich für ihn daraus abzeichnende Dilemma auch deutlich im Gesicht geschrieben. Auch stellte er die Frage nach dem Wahrheitsgehalt mancher Stereotype in den Raum. Er plädierte für einen selbstironischen Umgang mit gewissen Bilder und Rollen. Denn letztlich – und darin waren sich dann alle drei Teilnehmenden einig – komme es auf die Reflektionsebene an, in der solche Rollenspiele oder Denkmuster ablaufen. Je mehr man sich über das eigene Urteilen und Denken bewusst sei, um so leichter ließe sich auch eine konstruierte Wahrnehmung erkennen und auflösen.
Die ironische Feststellung von Sucher zum Schluß der Diskussion, er habe sich zu Beginn des Abends gefragt, wie viele Jüdinnen und Juden wohl im Publikum sitzen würden – „Keine Angst ich frage jetzt nicht nach!“ – wurde mit dem ironischen Ausruf „Können Sie das denn nicht sehen?“ beantwortet.
Das abschließende Lachen im Publikum war irgendwie ein verschämt befreiendes: Hilft ja nix, wir können nicht aus unserer Haut….