Meron Mendel wurde in Ramat Gan in der Nähe von Tel Aviv geboren und lebt seit über zwanzig Jahren in Deutschland. Schon lange weiß er, welche Bedeutung Israel in der deutschen Debatte hat und wie vielfältig die Meinungen dazu sind. „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“ hat Mendel geschrieben als Israeli, der inzwischen auch Deutscher ist. (S. 24) Es ist ein Sachbuch, das auch Autobiografisches enthält und eindrücklich einen Blick auf Deutschland beschreibt, der durch israelische Erfahrungen geprägt ist.
Israels gespaltene Gesellschaft
Während seines dreijährigen Armeedienstes war Mendel in Hebron im Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete) stationiert, um dort jüdische Siedler*innen vor palästinensischen Übergriffen zu schützen. Diese Übergriffe kamen zwar vor, schreibt Mendel in seinem Buch, oft genug aber war es umgekehrt und jüdische Siedler*innen griffen Palästinenser*innen an. In Hebron lernte Mendel Itamar Ben-Gvir kennen – der gleiche Jahrgang wie Mendel und wegen seiner rechtsradikalen Aktivitäten aus der Armee ausgemustert. Heute ist Ben-Gvir Minister für nationale Sicherheit und Chef der israelischen Polizei. Im Wesentlichen hat sich Ben-Gvir aber nicht verändert. Verändert hat sich die israelische Gesellschaft. (S. 16)
Laut Mendel ist die israelische Gesellschaft gespalten und Itamar Ben-Gvir das deutlichste Symbol dafür. Insbesondere das rechte Lager gewinnt zunehmend Macht in der Regierung und gefährdet die israelische Demokratie. Mendels Schlussfolgerungen zu den gegenwärtigen Entwicklungen sind hellsichtig und ungeschönt: Abbau des Rechtsstaates und der Justiz. Zerlegung der Zivilgesellschaft und das Aus für die Hoffnung auf ein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den palästinensischen Bürgern Israels im Westjordanland und in Gaza. (S. 23)
Debatten in Deutschland
Die nationalistischen Tendenzen in der Gesellschaft und Politik Israels erschweren es den Deutschen zunehmend, an der Verbundenheit und Solidarität mit Israel festzuhalten. Dies sei, so Mendel, aber ein wichtiges Werkzeug zur Vergangenheitsbewältigung. Debatten wie zuletzt über die documenta fifteen zeigen, dass Debatten über Israel, die in Deutschland geführt werden, immer auch erinnerungspolitische und vor allem emotional geführte Debatten sind. Mendel analysiert unerschrocken, dass zwar jede*r Deutsche eine Meinung zum Nahostkonflikt habe, dass es aber durchaus sinnvoll wäre, sich zuvor damit auseinanderzusetzen, was die deutsche Sicht auf den Nahostkonflikt prägt und geprägt hat.
Neben der Verurteilung Israels als vermeintliches Produkt des europäischen Kolonialismus (S. 32) und den Diskussionen um die deutsche BDS-Bewegung in ihren unterschiedlichen Facettenbefasst sich Meron Mendel nicht zuletzt mit dem identitätsstiftenden Einfluss Israels auf das deutsche linke Milieu und die deutsche Erinnerungskultur: Dieses Buch zeigt, dass in Deutschland über Israel nicht so gedacht und geredet wird wie über andere Länder. […] Es ist ein Plädoyer für Versachlichung und Differenzierung in einem umkämpften Feld, in dem sich Geschichte und Gegenwart sowie Real- und Moralpolitik vermischen. (S. 33)
Die Gesetzesreform der neuen Regierung Benyamin Netanjahu, das Absetzen eines Verteidigungsministers, der Einspruch erhebt, die absurden Forderungen eines rechtsradikalen Ministers für Sicherheit, der die Gerichtsbarkeit in Israel entmachten möchte, all das zwingt dazu, über Demokratie nachzudenken, sich die deutsche Demokratie aber auch die Strukturen illiberaler Demokratien, wie sie in Ungarn und der Türkei derzeit vorherrschen, genau anzusehen. Ist Israel ebenfalls auf dem Weg dorthin? Oder zeigen die beeindruckenden Bilder tausender Demonstrierender auf den Straßen von Tel Aviv oder Jerusalem ein anderes Bild, das uns optimistisch stimmen könnte. All denjenigen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen, schon eine Meinung zu Israel haben – wie Meron Mendel ja moniert – ober sich in einer offenen Debatte eine Meinung bilden möchten, sei dieses Buch empfohlen. Es bietet neben interessanten Einblicken die Möglichkeit, seine eigene Haltung kritisch zu reflektieren und den deutschen Blickwinkel neu zu überdenken.
„Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“
Erschienen: 9. März 2023 bei Kiepenheuer & Witsch
224 Seiten