Im letzten Blogbeitrag zu unserer aktuellen Wechselausstellung „Von der Isar nach Jerusalem – Gabriella Rosenthal (1913-1975) – Zeichnungen“ haben wir die von Gabriella Rosenthal illustrierte Esther-Rolle vorgestellt. Dabei wurde argumentiert, dass diese Rolle aus ihrem restlichen Werk heraussticht, da sie sich explizit mit einem religiösen Stoff auseinandersetzt. Eine weitere künstlerische Arbeit, die sich mit jüdischen religiösen Schriften beschäftigt, gibt es jedoch: In den 1960er Jahren bereitete Gabriella Rosenthal gemeinsam mit ihrem Vater Erwin Rosenthal eine Publikation mit Illustrationen zu jüdischen Sprichwörtern vor, die jedoch nie veröffentlicht wurde.
Besser zu wohnen auf der Dachzinne, als mit einem zänkischen Weibe in einem gemeinsamen Haus.
Ein großer Teil der Zeichnungen, die Gabriella Rosenthal für diese geplante Publikation angefertigt hat, bezieht sich auf das Buch Sprüche der Hebräischen Bibel. Die Sprüche dienen für religiös lebende Jüdinnen und Juden vorrangig als Wegweisung im Alltag und für das menschliche Miteinander.
Diese Zeichnung Gabriella Rosenthals bezieht sich auf Spr. 25,24. Das junge Pärchen in der oberen Bildhälfte mag zwar kein Dach über dem Kopf haben, ihre Beziehung wirkt jedoch wesentlich harmonischer als die der Wohnungsbesitzer. Das „zänkische Weib“ wird noch in anderen Sprüchen erwähnt, so beispielsweise in Spr. 21,9 und Spr. 27,15-16.
Das Gerede des Kindes auf der Straße [ist] vom Vater oder von der Mutter.
Neben den Sprüchen der Hebräischen Bibel illustrierte Gabriella Rosenthal auch einige Sprüche, die aus dem Talmud stammen. Der Talmud ist das zentrale rabbinische Schriftstück, in dem die religiösen Gebote ausgelegt werden.
Die oben abgebildete Zeichnung bezieht sich auf den Traktat Sukka 56b. Hier wird berichtet, wie die Tochter eines Priesters sich vom Judentum abwendete und sich mit feindlichen Griechen verbündete. Sie war anwesend als diese in den Tempel eindrangen und beteiligte sich an der Entweihung des Altars. Nachdem die Griechen vertrieben wurden, bestrafte man den Priester für das Verhalten seiner Tochter, in der Annahme, dass sie sich dieses bei ihren Eltern abgeschaut haben müsse. Gabriella Rosenthal bezieht diese Logik auf ihr aktuelles Umfeld.
Nur ein Narr schreibt seinen Namen an die Wand.
Gabriella Rosenthal plante jedoch auch solche Sprichwörter in ihre Publikation mit aufzunehmen, die zwar unter Jüdinnen und Juden verbreitet waren, aber nicht aus religiösen Schriften stammten.
Die hier gezeigte Zeichnung bezieht sich auf einen alten Brauch: Bevor man anfing kleine Zettel mit Bitten und Gebeten in die Ritzen der Klagemauer zu stecken, schrieb man seinen Namen auf die Mauer. Nachdem dies nicht mehr üblich war, entstand offenbar dieses Sprichwort. Gabriella Rosenthal übersetzt diese Verhaltenskritik nun in modernere Zeiten.
Obwohl die Zeichnungen dieser nie veröffentlichten Publikation sich zum größten Teil explizit auf religiöse Schriften beziehen, scheint dem gesamten Werk keine gezielte theologische Aussage zugrunde zu liegen. Die Sprüche sind ihrem unmittelbaren Kontext enthoben und werden grafisch in der Gegenwart Gabriella Rosenthals verortet.
Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen: Gegenüber ihrem Vater Erwin Rosenthal äußerte Gabriella Rosenthal den Wunsch auch ein Buch zu arabischen Sprichwörtern zu verfassen. Demnach scheint es nicht ihr Anliegen gewesen zu sein eine jüdisch religiöse Lehre zu vermitteln, sondern jüdisches und später auch arabisches Kulturgut abzubilden.