Vorschau: „Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen“

Im kommenden Jahr (ab 29. Mai) zeigen wir die Ausstellung „Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen“, die derzeit noch im Jüdischen Museum Hohenems zu sehen ist.
In der Ausstellung „Sag Schibbolet!“ im Jüdischen Museum Hohenems. Foto: Jüdisches Museum Hohenems: Dietmar Walser, 2018
In der Ausstellung „Sag Schibbolet!“ im Jüdischen Museum Hohenems. Foto: Jüdisches Museums Hohenems: Dietmar Walser, 2018

In der Ausstellung, kuratiert von Boaz Levin, thematisieren internationale Künstlerinnen und Künstler ein Phänomen unserer Gegenwart: Grenzen. Zwar ist im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je die Rede von Globalisierung und Inter- und Transnationalität, doch gleichzeitig findet überall Abschottung statt. Ob in Form physischer Barrieren, wie den neuen Grenzzäunen, die allerorts in Europa entstehen, exklusiven, eingehegten Wohngebieten („gated communities“) oder durch subtilere Formen der Aus- und Eingrenzung, wie biometrischen Überwachungs- und Zutrittsanlagen. Auch die Konstruktion und Verteidigung kultureller, sprachlicher oder ethnischer Zugehörigkeiten ist als Grenzziehung zu verstehen. Diese mannigfaltigen Grenzen haben oft fatale Konsequenzen. Auf der richtigen oder der falschen Seite dieser Grenzen zu stehen, kann für einzelne Menschen über Leben und Tod entscheiden.

Die Dialektik aus Grenzziehung und Grenzüberwindung hat eine lange Geschichte. Die Bibel erzählt im Buch Richter 12, 5-6 von der Flucht der Efraimiter vor den siegreichen Gileaditern. An den Ufern des Jordans stoppten die Sieger die flüchtenden Unterlegenen. Wer die Grenze übertreten und damit entfliehen wollte, musste zuvor das Wort „Schibbolet“ aussprechen. Die richtige Aussprache entschied über Passage oder Tod. In der Gegenwart ist uns München als Ankunfts- oder Zufluchtsort für Flüchtende präsent. Vor wenigen Jahrzehnten noch, in den 1930er und 1940er Jahren, spielten sich hier andere Flüchtlingsdramen ab, die im alltäglichen Bewusstsein kaum mehr vorhanden sind. Tausende Menschen flohen aus oder über München in die Nachbarländer, die sich ihrerseits ab 1938 verstärkt abschotteten und von Flüchtlingskrisen bedroht sahen.

In der Ausstellung „Sag Schibbolet!“ im Jüdischen Museum Hohenems. Foto: Jüdisches Museum Hohenems: Dietmar Walser, 2018

In Vorbereitung der Ausstellung fuhren Bernhard Purin, Kerstin Baur, Sabine Menges und Nikolaus Hagen nach Hohenems, um mit Hanno Loewy, dem Leiter des dortigen Jüdischen Museums, und Roland Stecher, der für die gestalterische Umsetzung der Ausstellung verantwortlich sein wird, zusammenzutreffen. Bei der Adaption der Ausstellung gilt es einiges zu bedenken: Da es sich um eine künstlerische Ausstellung handelt, müssen die einzelnen Installationen auf die räumliche Situation in München angepasst werden, um hier entsprechend zur Geltung zu kommen. Gleichzeitig müssen bereits der Transport und die Zwischenlagerung der Kunstwerke geplant werden. Besondere Vorsicht ist bei den größeren Installationen geboten, die teilweise fragil und lichtempflindlich sind. Nicht zuletzt geht es auch um die Konzeption eines begleitenden Veranstaltungsprogramms und der Entwicklung von museumspädagogischen Materialien. Auch inhaltlich kommt es zu einigen Anpassungen, die auf die spezielle Situation in München Rücksicht nehmen.

In der Ausstellung „Sag Schibbolet!“ im Jüdischen Museum Hohenems. Foto: Jüdisches Museum Hohenems: Dietmar Walser, 2018

Hohenems, eine österreichische Kleinstadt am Rhein, grenzt direkt an die Schweiz. Der Rhein stellte ab März 1938 die Grenze zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich dar. An dieser Flussgrenze spielten sich in der NS-Zeit zahlreiche Fluchtszenen ab. Auch München war Ausgangspunkt oder Zwischenstation vieler Fluchtgeschichten. Eine davon verbindet in besonderer Weise München mit der Grenze bei Hohenems. Arthur Vogt, ein deutscher Staatsbürger, und Zygmund Bak, ein Pole, trafen sich im Frühjahr 1943 in einem Münchner Lokal. Gemeinsam beschlossen sie, Deutschland aufgrund ihrer schlechten Lebenssituation zu verlassen. Am 22. März 1943 bestiegen sie den Zug vom Münchner Hauptbahnhof nach Bregenz am Bodensee, um sich von dort aus über den Rhein und damit die Schweizer Grenze aufzumachen. Die geheime Ausreise misslang. Beide wurden am Rheindamm von Zöllnern festgenommen und anschließend vom Volksgerichtshof wegen „Reichsflucht“ und „Asozialität“ verurteilt. Die missglückte Flucht vor tristen Lebensverhältnissen endete tragisch: Im September 1944 wurden beide in München-Stadelheim hingerichtet, wie die Historikerin Irene Stuiber dokumentiert hat (Buch: Irene Stuiber. Hingerichtet in München-Stadelheim, München 2004). In der Ausstellung werden derartige Fluchtgeschichten aus München in Form von Audiostationen präsent sein.

In München wird die Ausstellung „Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbare Grenzen“ von 29. Mai 2019 bis zum 23. Februar 2020 zu sehen sein.

Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum München.