Abba Naor – Eine Kindheit im Ghetto und Konzentrationslagern

Abba Naor, 1928 als Abba Nauchowicz in Kaunas (Litauen) geboren, überlebte Vertreibung, Ghetto und Zwangsarbeit. Im Mai 1945 wurde Naor auf einem Todesmarsch in der Nähe von München befreit. Er ging ins damalige Palästina, gründete eine Familie und arbeitete für viele Jahre für den israelischen Geheimdienst. Seit Jahrzehnten hat er sich der Aufgabe verschrieben, als Zeitzeuge von seinem Überleben zu berichten.
Zeitzeuge Abba Naor, Foto: Wolfgang Hauck

Am Sabbat war die Wohnung erfüllt vom Duft der Apfelkuchen und Mohnkuchen. Meine Mutter […] putze, buk und kochte schon seit dem frühen Morgen. In den kalten und dunklen Monaten des litauischen Winters freute ich mich am meisten auf den Sabbat.

Abba Naor

Die Wärme und Liebe im Elternhaus von Abba Naor lässt sich schon zu Beginn seines Buches „Ich sang für die SS. Mein Weg vom Ghetto zum israelischen Geheimdienst“ (S.23) erahnen. Seine Familie, das waren sein Vater Hirsch, der in Kaunas als Fotograf arbeitete. Seine Mutter Chana kümmerte sich als Hausfrau um die Erziehung der drei Söhne. Chaim, der 1926 geboren wurde, stellte sich immer beschützend vor seinen Bruder Abba. Berale, 1938 geboren, beschreibt Naor als „das Licht der Familie“. (S. 22)

Schon in seiner Kindheit begeisterte sich Naor für Kino und Theater. Sein großer Traum war es, Schauspieler in Hollywood zu werden. In der Schule lernte Naor Hebräisch, zuhause wurde Jiddisch und Russisch gesprochen, auch Litauisch beherrscht er.

Diese behütete Zeit endete im Sommer 1940: die sowjetische Armee marschierte in Kaunas ein. Im Juni 1941 bombardierte die deutsche Luftwaffe die Stadt. Naor beschreibt in seinen Lebenserinnerungen auch die antisemitische Einstellung vieler Litauer und ihre gewalttätigen Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in der Nachbarschaft.In der ersten Augustwoche 1941 wurden Naor und seine Familie gezwungen, in das Ghetto Kaunas umzuziehen. Naors Bruder Chaim wurde für den Versuch, außerhalb des Ghettos illegal Lebensmittel zu besorgen, erschossen.

Auf dem Weg zu einer illegal eingerichteten Schule im Ghetto Kaunas im Winter 1941/42 (Naor 2.v.l), Foto: privat

Naor arbeitete im Ghetto unter anderem als Bäcker, später als sogenannter Läufer für die Ghettopolizei, um so seine Familie zu unterstützen. Den drei Jahre alten Berale hielt die Familie vor den Razzien im Ghetto versteckt.

Im Juli 1944, kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee am 1. August 1944, evakuierten die Deutschen das Lager und deportierten Naor und seine Familie auf einem Schiff über Königsberg nach Stutthof bei Danzig. Dort wurde die Familie getrennt und Naors Mutter und Bruder Berale am 26. Juli 1944 nach Auschwitz Birkenau deportiert und ermordet. Der 15-Jährige Naor kam in das Dachauer Außenlager bei Utting. Unter grausamen Lebens- und Arbeitsbedingungen mussten die Gefangenen Betonplatten herstellen. Als er in das Lager Kaufering I kam, wurde das Überleben für Naor immer schwieriger. Am 24. April 1945 wurden die Insassen zunächst nach Dachau gebracht und Ende April zum Todesmarsch nach Bad Tölz gezwungen.

Schließlich wurde Naor am 2. Mai 1945 bei Waakirchen, rund 50 Kilometer südlich von München, befreit. Im DP-Lager Freimann in München traf er seinen Vater wieder. Sie fuhren nach Łódź, wo sie überlebende Verwandte fanden. Von der ehemals sehr großen Familie hatten nur sieben Personen die Schoa überlebt.

Naor trat der zionistischen, militärischen Untergrundorganisation Hagana bei, die 1920 zum Schutz jüdischer Siedlungen in Palästina vor arabischen Angriffen gegründet worden war. Über Umwege gelangte er durch die Hilfe der Organisation im Mai 1947 nach Palästina. Zu Beginn arbeitete Naor dort bei der Militärpolizei, kämpfte als Soldat im Palästinakrieg 1949. Er lernte seine Frau Lea kennen und bekam mit ihr zwei Kinder. Später arbeitete Naor als Agent im Inlandgeheimdienst Shin Bet. Darauffolgend nahm er die Stelle als Sicherheitschef des Weizmann-Instituts an.

Abba Naor in den 60er Jahren, Foto: privat

1965 zog Naor dann mit seiner Familie zu seinem Vater nach München. Zu Beginn arbeitete er als Juwelier, zwei Jahre später eröffnete er einen Imbisstand in der Landwehrstraße. Auch wurde er Teilhaber des „Stop-In“, ein Restaurant in der Türkenstraße, in dem es preisgünstige Pizzen gab. Die Geschäfte liefen gut und er wurde Teilhaber zweier weiterer Cafés in der Stadt. Die Familie zog in ein Haus in Allach, in der Nähe von Dachau. Naor war im Vorstand vom TSV Maccabi. Nachdem seine Enkeltochter Dana in der Schule 1977 antisemitisch angegriffen wurde, verließ seine Tochter Talma München unmittelbar. Naor verkaufte seine Lokale und folgte ihnen.

1977 war ebenfalls das Jahr, in dem der Mossad beauftragt wurde 30.000 Jüdinnen und Juden aus Äthiopien nach Israel zu holen. Diese Aktion wurde auch „Operation Moses“ genannt. Das Volk der Falaschen, das seit Jahrhunderten nach den Regeln der Tora lebte, wurde von der äthiopischen Regierung verfolgt und unterdrückt. Naor half bei der Rettung im Frühling 1980 mit, er spielte einen Reiseunternehmer, der das alte Feriendorf Auros am Roten Meer wieder aufbauen wollte. Dies war jedoch nur ein Tarnungsmanöver für die Rettungsaktion. Die Geflüchteten kamen nach tagelangen Fußmärschen durch die Wüste in Auros an, wurden nachts von israelischen Booten abgeholt und nach Israel gebracht. Alles musste unter strengster Geheimhaltung passieren und letzten Endes konnten viele Menschen gerettet werden.

Zwei Kinder, fünf Enkel, neun Urenkel. Sie sind mein persönlicher Sieg über die Nazis.

Abba Naor

So schreibt Naor über seine große Familie, die ihm so viel bedeutet. (S. 248) Um die deutsch-israelischen Beziehungen zu vertiefen, hat er einen Schüler_innenaustausch begründet und dafür von Horst Seehofer 2009 das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Am 24. Januar 2022 wird der Schoa-Überlebende Abba Naor im Jüdischen Museum München für Interessierte aus seinem Buch vorlesen und Fragen zu seiner Lebensgeschichte beantworten.

Zeitzeug_innenabend: Abba Naor – Eine Kindheit im Ghetto und Konzentrationslagern

Anlässlich des „Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ laden wir Sie am 25. Januar, 19.00 Uhr zu einem digitalen Gespräch mit dem Zeitzeugen Abba Naor ein: Die Teilnahme an der Veranstaltung ist via Zoom nach Anmeldung möglich. Alternativ können Sie die Veranstaltung auch live via YouTube und Facebook verfolgen. 

Bitte beachten Sie auch unser Begleitprogramm für Schulklassen und Jugendgruppen.