Beim Auspacken dieser Kiste ist besondere Vorsicht geboten, denn sie beinhaltet 20 fotografische Arbeiten der französischen Künstlerin Sophie Calle. Die Fotografien gehören zu ihrer Installation „L’Erouv de Jérusalem“ (1996), die heute im ersten Stock im Jüdischen Museum München aufgebaut wurde. Die Installation beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Raum und dem Eruv als einer Grenze, die beide vermischt.
Der Eruv (hebräisch für „Mischung“) wird von jüdischen Gemeinden rund um die Welt errichtet und genutzt. Es handelt sich dabei meist um einen einfachen Draht, der zwischen Masten aufgespannt wird und einzelne Wohngebiete oder Stadtteile umschließt. Grund dafür ist das jüdische Religionsgesetz, das am Schabbat jegliche Form der Arbeit für religiös lebende Jüdinnen und Juden verbietet. Streng genommen fällt auch das Tragen von Gegenständen, wie das Mitführen von Schlüsseln oder das Schieben von Kinderwagen darunter – zumindest im öffentlichen Raum. Für den privaten Bereich, wie das eigene Haus oder ein umzäunter Garten, gilt diese Vorschrift nicht. Der Eruv weitet diesen Bereich aus und vermischt so privaten und öffentlichen Raum.
Sophie Calle hat für ihre Installation Masten des Jerusalemer Eruv fotografiert und Interviews mit jüdischen und arabischen Bewohner*innen der Stadt geführt. Die Befragten erzählten von öffentlichen Orten in der Stadt, mit denen sie eine persönliche Geschichte verbinden. Calle hat diese Geschichten auf einen Stadtplan Jerusalems montiert. Die Fotografien des Eruvs sind im Viereck um den Plan herum angeordnet und schaffen so einen privaten Raum im öffentlichen Ausstellungsraum.
Beim Aufbau der Installation muss jeder Handgriff sitzen. In Zusammenarbeit mit dem zuständigen Registrar des Musée d’Art et d’Histoire du Judaïsme, Pascal Concordia, hat das technische und konservatorische Team des Jüdischen Museum München Calles Kunstwerk heute in Empfang genommen und im ersten Stockwerk aufgebaut.
Zu sehen ist „L’Erouv de Jérusalem“ neben Arbeiten zwölf weiterer internationaler Künstler*innen in der kommenden Ausstellung „Sag Schibbolet! Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen“ vom 29. Mai 2019 bis zum 23. Februar 2020.