Von Christian Porzelt
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde es Jüdinnen und Juden im Zuge der rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung erstmals möglich, an Kunsthochschulen zu studieren. Zu den ersten jüdischen Absolventen der Münchner Kunstakademie zählte Benjamin Benno Lipschütz, der später als Porträtmaler tätig war.
Benjamin Lipschütz wurde 1812 als Sohn des Samuel Lipschütz und seiner Frau Chaja, geborene Neuburger, in Kriegshaber bei Augsburg geboren. Seine Familie stammte väterlicherseits aus Hürben. In beiden Orten existierten zu dieser Zeit große jüdische Landgemeinden. Während zwei seiner Brüder den Beruf des Juweliers erlernten, erhielt Benjamin Lipschütz eine Ausbildung an der Kunstakademie in München. Ab 1830 besuchte er dort die Klasse für „Historienmalerei“. Zu seinen Lehrern zählte der durch König Ludwig I. geförderte Porträt- und Historienmaler Heinrich Maria Hess (1798-1863), ein Schwager des bekannten Architekten Friedrich von Gärtner (1791-1847).
Wie auch andere junge Männer aus jüdischen Landgemeinden nutzte Benjamin Lipschütz damit die neuentstandenen Ausbildungsmöglichkeiten, die sich in Bayern im Zuge der veränderten Gesetzgebung ab 1813 ergaben. Wie lange er in München studierte, geht aus dem Matrikelbuch der Akademie nicht hervor. In den folgenden Jahren lebte er wieder in seinem Geburtsort Kriegshaber, beziehungsweise in Augsburg. Dort war er als Kunstmaler tätig, wobei er sich auch regelmäßig in München aufhielt.
Sein frühestes bekanntes Werk, das Bildnis einer Dame mit Spitzenhaube, entstand 1831. In der Folgezeit spezialisierte er sich auf die Porträtmalerei. In einer Annonce, die er im Herbst 1834 in der Baseler Zeitung veröffentlichte, bewarb er seine Fähigkeit, Bilder „von Lebensgröße herunter bis zur Größe eines Kreuzers“ anzufertigen. Ein Beispiel für diese kleinformatigen Arbeiten ist eine auf Elfenbein gefertigte Aquarell-Miniatur. Das Bildnis einer jungen Frau in schwarzem Kleid aus dem Jahr 1835 wurde von ihm am rechten Rand mit der Signatur „Lipschütz pinx.“ versehen. Das heute in Privatbesitz befindliche Werk lässt die Kunstfertigkeit erkennen, die er sich als Maler erworben hatte.
Das Gruppenporträt der Familie Lippschütz in der Sammlung des Jüdischen Museums München entstand mehr als eineinhalb Jahrzehnte später. Das Bild zeigt den Hürbener Wein- und Hopfenhändler Mayer Lippschütz, seine Frau Rosalia, geb. Landauer, und deren drei Kinder: Benjamin (später Gustav), Albert und Helene. Mayer Lippschütz, der väterlicherseits mit Benjamin Lipschütz verwandt war, gab das Bild in der Zeit zwischen 1850 und 1855 in Auftrag. In seinem Malstil ähnelt das Ölgemälde anderen Arbeiten Benjamin Lipschütz‘. Allerdings findet sich auf diesem Werk keine Signatur. Ob er das Ölbild anfertigte, ist daher unklar.
Kurze Zeit später beendete Benjamin Lipschütz sein künstlerisches Schaffen. Seit spätestens 1854 lebte er als Privatier und Hausbesitzer in Wien. In dieser Zeit änderte er seinen Vornamen von Benjamin zu Benno, vermutlich weil er zur evangelischen Kirche übergetreten war. Er verstarb 1875 an einer „Lungenlähmung“ und fand seine letzte Ruhestätte auf dem evangelischen Friedhof im Wiener Stadtteil Matzleinsdorf.
Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er es in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie zu Wohlstand gebracht. Trotz seines Glaubenswechsels stiftete er testamentarisch einen Großteil seines Vermögens an jüdische Einrichtungen. So vermachte er die Hälfte davon der „Lipschütz’schen Versorgungsanstalt für alte erwerbsunfähige Israeliten“, dem späteren jüdischen Altersheim, in München. Diese Institution war zehn Jahre zuvor durch seinen ebenfalls kinderlos verstorbenen Bruder Julius ins Leben gerufen worden. Den Rest seines Nachlasses vermachte er zu jeweils einem Viertel den Gemeinden Wien und Kriegshaber. In seinem Geburtsort wurde deshalb 1916 eine Straße nach ihm benannt.