Buchvorstellung: LebensBilder – Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald

Eine Großmutter zu haben, war unter den Kindern, die wie Schymon und Fiszel Ajnwojner zwischen 1945 und 1957 im DP-Lager Föhrenwald bei Wolfratshausen aufwuchsen, eine Seltenheit. Ihre Eltern hatten die Schoa meist in Osteuropa überlebt und in ihren ehemaligen Heimatländern alles verloren. Eine neue Publikation, herausgegeben vom Erinnerungsort Badehaus, stellt 34 Biografien von Menschen vor, die ihre Kinder- oder Jugendjahre in Föhrenwald verbrachten.

Seit Ende 2018 beleuchtet der Erinnerungsort Badehaus in Waldram, ehemals Föhrenwald, bei Wolfratshausen die wechselvolle Geschichte des Ortes: Ab 1940 nationalsozialistische Mustersiedlung für Zwangsbeschäftigte der Rüstungsindustrie, wurde Föhrenwald nach Kriegsende zum Rettungsort zunächst für Überlebende aus dem Konzentrationslager Dachau. Ab September 1945 errichtete die amerikanische Militärregierung auf dem Gelände ein Lager für jüdische Displaced Persons (DPs), Überlebende der Schoa, die meist aus Osteuropa stammten und nach Kriegsende heimatlos wurden. Für viele von ihnen war Föhrenwald eine Station auf ihrem Weg in die USA oder nach Palästina; andere blieben – oft aus gesundheitlichen Gründen – bis zur Auflösung des Lagers. Nachdem Föhrenwald 1957 als letztes jüdisches DP-Camp in Europa aufgelöst wurde, wurde die Siedlung umbenannt und für katholische Heimatvertriebene genutzt. 

„LebensBilder – Porträts aus dem jüdischen DP-Lager Föhrenwald“ und die gleichnamige Sonderausstellung im Erinnerungsort Badehaus stellen 34 der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner des jüdischen DP-Camps vor.   

Lebensstationen: Polen – Russland – Usbekistan – Kasachstan – Polen – Föhrenwald – Frankfurt a.M.

Die Lebensstationen der Familie Ajnwojner sind beispielhaft für viele der porträtierten Familien: Die aus der Gegend von Lublin stammende Chana Sztajnmerder flieht mit ihrer Familie bereits 1939 nach Russland. Über Usbekistan gelangt sie nach Kasachstan. Bezalel Ajnwojner hat sich der Familie angeschlossen, in Kasachstan heiraten er und Chana. Nach Kriegsende kehrt die Familie nach Polen zurück, doch keiner von Bezalels Angehörigen hat überlebt. Chana und Bezalel kommen zusammen mit Chanas Mutter Rifka nach Föhrenwald, wo Schymon und Fiszel zur Welt kommen. 

Familie Ajnwojner mit Großmutter Rifka Sztajnmerder im DP-Camp Föhrenwald, Foto: © Familie Ajnwojner.

In ihrem Gespräch im Rahmen des Buchprojekts erinnern sich die beiden Brüder daran, was für eine Besonderheit es für sie war, eine Oma zu haben. Keines der anderen Kinder in ihrer Straße hatte mehr Großeltern. Der Alltag der Kinder war überschattet von den traumatischen Erlebnissen ihrer Eltern, die stets ins Polnische wechselten, um über Erlebnisse im Krieg zu sprechen. Die Ausreise der Familie in die USA oder nach Südamerika gelang nicht; nach der Schließung des Lagers kamen die Ajnwojners wie viele der ehemaligen Föhrenwalder nach Frankfurt am Main.    

Was für die Eltern meist eine unfreiwillige Zwischenstation darstellte, wurde für ihre Kinder oft zum Ort glücklicher Kindertage. Viele der Porträtierten, die heute in der ganzen Welt verstreut leben, haben bis heute eine enge Verbindung zu Föhrenwald. Sie berichten vom Schwimmenlernen in der Isar, von Freundschaften über den Lagerzaun hinweg oder Besuchen im Lagerkino, wo amerikanische und deutsche Filme gezeigt wurden. Die Erfahrungen ihrer oft traumatisierten Eltern, das Aufwachsen im Land der Täter und die ungewisse Lage der DPs bei der Auflösung des Lagers sind die Schattenseiten dieser unbeschwerten Kindheitserinnerungen.

Das Buch

Für das Buchprojekt fotografierte Justine Bittner die ehemaligen Föhrenwalder bei ihrem Besuch im Erinnerungsort BADEHAUS oder an deren heutigem Wohnort. Einige von ihnen kamen 2018 zur Eröffnung des Erinnerungsorts zum ersten Mal an ihren ehemaligen Heimatort zurück. Historische Fotos und Dokumente ergänzen die Porträts und biographischen Texte. Entstanden ist eine eindrucksvolle Dokumentation der Lebenswege Überlebender und der besonderen Situation ihrer Nachkommen. Die gesammelten persönlichen Erinnerungen der Porträtierten machen das Buch zu einem einmaligen Zeugnis. Ein ehrenamtliches Team bestehend aus 15 Autor*innen, 5 Übersetzer*innen und einer 4-köpfigen Redaktion ermöglichte das ambitionierte Projekt. Das Buch ist im Eigenverlag entstanden und sein Erlös kommt dem ebenfalls ehrenamtlich aufgebauten und betriebenen Museum zu Gute. Mehr zum Projekt erfahren Sie hier.

Ebenfalls empfehlen möchten wir Ihnen das Buch „Kinderjahre im Displaced-Persons-Lager Föhrenwald“ von Beno Salamander, das das Jüdische Museum München 2011 gemeinsam mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit herausgegeben hat, sowie den Katalog zur Ausstellung „Juden 45/90. Von da und dort – Überlebende aus Osteuropa“ (2011-2012).