Von der Synagoge zum Getreidelager und wieder zurück

Wussten Sie, dass es im süddeutschen ländlichen Raum viele ehemalige Synagogen gibt? Unsere wissenschaftliche Volontärin Dr. Lisa-Maria Tillian-Fink hat einige davon im Rahmen eines Seminares der Association of European Jewish Museums besucht. Und ein paar spannende Fotomotive entdeckt. Der kuratorische Museumsalltag hat ja so einige Highlights zu bieten: Die Recherche zu spannenden Themen, die Entdeckung faszinierender Objekte, die Bekanntschaft mit interessanten Menschen und die Entwicklung neuer Ausstellungsprojekte. Ein weiteres Highlight für die Kuratorinnen des Jüdischen Museums München sind die zwei Mal im Jahr stattfindenden Fortbildungsseminare der Association of European Jewish Museums. Fünf Tage lang trifft man sich dort mit Kuratorinnen und Kuratoren aus anderen Jüdischen Museen, tauscht Wissen und Erfahrungen aus, lernt bei intensiven Workshops viel Neues, schärft den Blick für die eigene Arbeit und kehrt inspiriert und beschwingt sowie mit neuen Perspektiven im Gepäck zurück.

In diesem Frühling war das Seminar als Reise durch Süddeutschland bis ins österreichische Vorarlberg organisiert. Im Mittelpunkt stand die Besichtigung von jüdischem baulichen Erbe und die Frage, wie sich der Umgang damit und mit dessen Geschichte heute gestaltet. Der Besuch vieler ehemaliger Synagogen, die im süddeutschen ländlichen Raum in großer Anzahl noch vorhanden sind und von der starken Präsenz der sogenannten Landjuden im 19. und frühen 20. Jahrhundert zeugen, stand auf dem Programm. Dabei wurde offensichtlich und erfahrbar, dass es nach der Schoa in verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedliche Annäherungen der nichtjüdischen Bevölkerung an den Umgang mit diesen steinernen Zeitzeugnissen gab.

Ein sehr bemerkenswertes Konzept wurde zwischen 1995 und 2004 im kleinen oberfränkischen Ort Memmelsdorf umgesetzt. Unter dem Titel „Konservieren statt Rekonstruieren“ blieb der historisch vielschichtige Raum als authentischer Ort erhalten. Als Besucher kann man heute die unterschiedlichen Spuren von der Erbauung der Synagoge bis zu Fremdnutzung nach 1945 sehr eindrücklich erleben.

Synagoge Binswangen / Foto: Anita Christensen

Eine ganz andere Herangehensweise gab es in der schwäbischen Gemeinde Binswangen, wo die alte Synagoge zu Beginn der 1990er Jahre nach den Ursprungsplänen im neumaurischen Stil gänzlich renoviert und restauriert wurde. Nichts zeugt in dem heute als Kulturzentrum genutzten ehemaligen Synagogenraum von der Zerstörung des Innenraums 1938, der Nutzung als Getreide-, Heeres- und Kohlenlager bzw. als Werkstätte für einen Handwerksbetrieb.

Synagoge Baisingen / Foto: Michaela Feurstein-Prasser

Im Mittelpunkt des ab 1990 entwickelten Restaurierungskonzeptes der ehemaligen Synagoge im baden-württembergischen Baisingen stand wiederum das Bestreben, die gesamte Geschichte des Gebäudes sichtbar zu machen bzw. zu lassen. Als Besucher nimmt man die Spuren der usprünglichen Innengestaltung des ehemaligen Synagogenraumes sehr eindrücklich wahr, aber auch jene von der Verwüstung 1938 sowie der Nutzung des Gebäudes als Scheune bis 1988.

Synagoge Baisingen / Foto: Michaela Feurstein-Prasser
Synagoge Baisingen / Foto: Michaela Feurstein-Prasser

Den Abschluss der Seminarreise bildete ein Besuch des Jüdischen Museums Hohenems österreichischen Vorarlberg. Teil des Museums ist die historische Mikwe (rituelles Tauchbad) im jüdischen Viertel der kleinen Stadt, die 2009 restauriert wurde.

Mikwe Hohenems / Foto: Michaela Feurstein-Prasser

Text: Dr. Lisa-Maria Tillian-Fink