#ErinnerungsObjekte: Ein Gemälde von Max Mannheimer

Die Ausstellung „Die Dritte Generation“ widmet sich dem familiären Gedächtnis innerhalb von Überlebendenfamilien und dem Umgang nachfolgender Generationen mit dem Erbe des Holocaust. In einem Interview erzählt Judith Faessler, die Enkelin des Holocaustüberlebenden Max Mannheimer, über sein Bild und sein Leben und auch, wie das Schicksal ihres Großvaters ihr Leben beeinflusst hat. Das Interview führte unsere Gastautorin Marina Maisel.
Judith Faessler hält ein Gemälde mit roten, blauen, schwarzen und braunen verschwommenen Lilien und Mustern in ihrem Arm.
Judith Faessler mit dem Bild ihres Großvaters Max Mannheimer, Foto: Marina Maisel

Marina Maisel: Liebe Judith, in der Ausstellung im Jüdischen Museum sind ganz verschiedene Objekte und Kunstwerke zu sehen, die uns etwas darüber erzählen, wie die Enkel und Enkelinnen von Holocaustüberlebenden mit dem schweren Familienerbe umgehen.  Wenn du ein Objekt für die Ausstellung auswählen würdest, welches wäre es?

Judith Faessler: Es ist ein Bild von meinem Großvater, Max Mannheimer, das er selbst 1974 gemalt hat. Das Malen war seine liebste Freizeitbeschäftigung. Mit dem Malen hat er die Traumata verarbeitet und gleichzeitig zeigt es auch diesen Optimismus, den er hatte. Den Blick in die Zukunft. Er hat so gemalt, wie er eben war, sehr schnell und ungeduldig. Als habe er alles schon in seinem Kopf.

Er hat in den 1950ern in Frankfurt angefangen zu malen. Damals hatte er immer wieder starke Depressionen und hat sich auf zwei Weisen abgelenkt: Einmal ist er viel ins Kino gegangen, und dann hat er die Malerei entdeckt. Also zweimal die Leinwand: eine große Leinwand, um sich abzulenken, und eine kleine Leinwand, wo er selber kreativ geworden ist.

MM: Warum hast du dieses Objekt ausgewählt? Was assoziierst du mit diesem Bild?

JF: Es gefällt mir sehr gut, weil man sich gut hineinträumen kann. Es ist sehr typisch für ihn. Wahrscheinlich hat er Farbe hin und her fließen lassen. Es sieht aus wie Spiegelungen im Wasser und das gefällt mir. Es sind die Farben des Wassers dabei, also verschiedene Grün-, Blau- und Türkistöne und darauf dann dieses kräftige Rot und Orange, fast aggressive Farben. Das ist sehr, sehr stark. Ein tiefes Bild. Es ist zugleich sehr fröhlich, hat aber auch etwas Bedrohliches. Man kann, je nachdem, in welcher Stimmung man ist, sehr unterschiedliche Sachen reininterpretieren, sowohl die Schrecken als auch den Optimismus, den er trotz der erlebten Gräueltaten hatte.

Also es war für mich lange die Frage, wie hat er es geschafft hat, nicht daran vollkommen zu zerbrechen. Im Gegenteil trotzdem so ein lebensfroher Mensch zu sein. Wobei er nicht immer so ein fröhlicher Mensch war und Depressionen hatte. Aber er hat es erstaunlich gut verarbeitet. So, dass ich ihn als sehr lustig erlebte, zumindest, wenn wir dabei waren, war er immer sehr lustig.

MM: Max Mannheimer war einer der bekanntesten Zeitzeugen Deutschlands. Seine Lebensgeschichte ist in München, wo er nach dem Krieg lebte, sehr bekannt. Wann hast du dich mit seiner Biografie vertraut gemacht? Wann hat er dir alles erzählt?

JF: Als ich Kind war, hat er überhaupt nichts erzählt. Ich habe ihn mal gefragt, was die Nummer auf seinem Arm bedeutet. Und er hat sehr locker geantwortet: Das ist die Telefonnummer von einem Freund und ich habe es geglaubt. Ich habe mir aber gedacht, komisch, der hat doch so ein gutes Gedächtnis und ich habe bemerkt, dass die anderen eigenartig reagiert haben.

Als meine Großmutter gestorben ist, hat Max seine Erinnerungen aufgeschrieben, weil er sich dachte, jetzt hat meine Tochter gerade die Mutter verloren, irgendwann verliert sie auch den Vater. Deswegen hatte er zum ersten Mal das Bedürfnis, alles aufzuschreiben. Und dann hat er das Manuskript meiner Mutter gegeben und sie hat es nicht gelesen, weil sie das zwischen ihnen Unausgesprochene nicht zu seinen Lebzeiten wissen wollte.

Ich habe die 1985 publizierten Erinnerungen vor meiner Mutter gelesen und ihr gesagt: Mama, das ist nicht so schlimm, wie du befürchtest. Natürlich ist es schrecklich, aber vieles hat er aus Rücksicht nur angedeutet oder knappgehalten, er hat es nicht beschrieben, wie in manchen anderen Schilderungen, die ich bereits kannte und die meiner Mutter auch bekannt waren. Also so stark, so mächtig war dieses Tabu und sie hatte so Angst davor: Ich wollte deshalb, dass sie sich dem inneren Monster stellt, dass sie aus dem Schatten des Holocaust, der ihre Kindheit geprägt hat, heraustritt. Sie hat seine Erinnerungen erst Jahre danach gelesen und dann auch nur stückweise. Was Max erlebt hat und wie er überlebt hat, weiß ich auch nur aus seinem Buch und weil ich ihn ein paar Mal auf Veranstaltungen begleitet habe. Aber es war wichtig zu erfahren, weil da war immer etwas, was man als Kind bemerkt und es sich nicht erklären kann.

MM: Hat die Familiengeschichte deine Berufswahl beeinflusst?

JF: Zwar nicht bewusst, aber ich arbeite jetzt schon lang beim Verfassungsschutz und beschäftige mich mit Fragen zum Extremismus: wie radikalisieren sich Leute, wie kommen Leute in so eine Ideologie rein?

Ich bin jetzt auch nebenher Antisemitismusbeauftragte. Also das ist sicher etwas, was damit zu tun hat. Erst habe ich etwas gehadert, weil ich denke, Antisemitismus ist nicht ein Problem der Juden, sondern der allgemeinen Gesellschaft, damit müssen sich andere auseinandersetzen. Wenn es Antisemitismus in einer Gesellschaft gibt, dann ist es immer ein Zeichen, dass mit der Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist. Aber weil mich das betroffen gemacht hat und ich mich viel damit auseinandergesetzt habe, kenne ich mich sicher besser damit aus als andere. Insofern sehe ich das schon als Auftrag. Aber ich glaube, ich hätte einen anderen Weg einschlagen können und Max wäre auch stolz gewesen. Ihm ging es darum, dass wir glücklich sind.

Mir ist es wichtig, dass es auch in seinem Sinn ist, aber in erster Linie muss ich einen Sinn darin sehen und ich sehe darin einen Sinn. So etwas soll nie wieder passieren. Und ich glaube, viele wissen nicht, wie, weil das „Nie wieder“ sehr unterschiedlich interpretiert wird. Ich sehe, wenn man sich nur oberflächlich damit befasst, kann das „Nie wieder“ auch kontraproduktiv sein. Das sind schon die Fragen, die mich immer wieder beschäftigen. Da spielen viele Sachen zusammen. Aber sicher auch die Geschichte von Max.

Max Mannheimer im Video-Projekt „Dachauer Dialoge“ hier auf YouTube ansehen: