Judn ohne Wiesn: Das Finale

»Unser Völkchen ist es jedenfalls gewohnt zu feiern.«
Foto für die Ausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“ von Lydia Bergida.
Foto für die Ausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“ von Lydia Bergida.

Sie freuen sich, sich endlich alle mal wieder so richtig zu treffen, und nicht nur über Telefon, Mail, WhatsApp… Das Fotoshooting, eine prima Gelegenheit, über dies und das zu reden, sich mit Komplimenten zu beschenken. Denn alle sehen gut aus. Sehr gut! Da fällt kaum auf, dass die Theresienwiese seltsam leer ist, dass eine Dame um sie herumschleicht und auch gerne Fotos hätte von diesem bunten Dirndl-Stelldichein. Seit 50 Jahren begleitet sie mit ihrer Kamera das Oktoberfest und dann das. Keine Wiesn. Da kommen unsere Models genau recht. Wen all das überhaupt nicht kümmert, ist ein stoischer Läufer, der nicht aufhört die Stufen zur Bavaria rauf und runter zu klettern. Er hört nicht mehr auf damit und stellt das genaue Gegenprogramm dar zu unseren fröhlich schnatternden Damen, den schwingenden Röcken, den roten Lippen, den Bällen, die man sich im Gespräch sehr locker zuspielt. Denn sie kennen sich ja gut, kennen die Kinder, kennen die Männer, kennen die Eltern, die Großeltern. Man gehört eben irgendwie zusammen. Und deshalb gehen auch alle gerne zusammen auf die Wiesn. Wenn sie denn ist. Mit oder ohne Davidstern.

Die Yael:

Ich besitze bestimmt fünf oder sechs Dirndl.

Die Naomi:

Echt jetzt? So viele?

Die Yael:

Ja. Das hat sich so angesammelt über die Jahre. Liegt natürlich auch daran, dass ich finde, dass ein Dirndl ein ausgesprochen schönes Kleidungsstück ist, eines das selbstverständlich auch jede jüdische Frau in ihrem Kleiderschrank haben kann. Warum auch nicht? Wer sollte da etwas dagegen haben? Ein Dirndl gehört einfach dazu zum Oktoberfest, das ich im Übrigen gar nicht so sehr liebe. Trotzdem heiße ich es jedes Jahr sehr willkommen, was damit zu tun hat, dass ich in der Tourismusbranche tätig bin. Wirtschaftlich gesehen ist die Wiesn für uns ein absolutes Highlight. Ich selbst gehe so zwei- bis dreimal hin. Einmal nur mit den Mädels…

Alle Mädels durcheinander:

Ja, ja…, mit uns Mädels… Das muss jedes Jahr sein… Wir unter uns…

Die Yael:

… und dann auf jeden Fall noch einmal mit der Familie.

Was ich auf der Wiesn jedes Jahr mit Interesse beobachte, ist, dass es viele gibt, die ganz offensichtlich den Alkohol brauchen, um fröhlich und ausgelassen sein zu könne. Die kippen den in sich rein, um gute Laune zu bekommen. Eigentlich traurig, oder?

Die Elena:

Ja, das stimmt. Mir ist das auch schon aufgefallen. Dabei muss man sich doch wirklich nicht betrinken, um sein Leben genießen zu können. Diese Menschen, die sich zutrinken,  sind in ihrem Alltag wahrscheinlich einfach oft viel zu kontrolliert. Und irgendwann bricht alles aus ihnen heraus.

Die Dora:

Unser Völkchen ist es jedenfalls gewöhnt zu feiern, sodass es da nicht auch noch zu trinken braucht, um ausgelassen zu sein.

Alle Mädels durcheinander: 

Oh, ja. Wir feiern gerne… Mit Freunden, gutem Essen, guten Geschichten… Feiern ist für uns wichtig… Beieinander sein… 

Die Naomi:

Bei mir ist es jedenfalls so: Ich trinke einmal im Jahr Bier. Und das ist eben auf der Wiesn. Da gehört es halt einfach dazu. Und einmal im Jahr… Das ist doch wirklich okay. Vor allem aber hole ich mir immer diese in Schokolade getunkten Erdbeeren. Obwohl die jedes Jahr teurer und teurer werden. Aber die schmecken einfach so wunderbar! 

Alle Mädels durcheinander:

Oh, ja. Die schmecken! … Und gebrannte Mandeln… Steckerlfisch… Brezn… Schokoladenbananen… Hendl… Jedenfalls lieber Wein als Bier… Und was ich noch mag, ist dieses Gebäck mit viel Schokolade… Heißt das nicht Splitterbombe, oder so? Kein schöner Name… Nein, kein schöner Name… Aber schmeckt… Oh, schmeckt das!…

Die Dora:

Meine Mutter und mein Vater machen sich immer Sorgen, wenn wir losziehen. Sie sehen es nicht so gerne, wenn wir mit ihren Enkelkindern da hingehen, weil sie denken, dass die Wiesn ein Anschlagsziel sein könnte. 

Alle Mädels durcheinander:

Ist es ja auch schon mal gewesen… Da vorne… Kann aber überall passieren… Das war schrecklich…

Die Dora:

Ja, genau. Mein Eltern haben natürlich noch dieses Wiesn-Attentat im Hinterkopf. Und wenn man in den Nachrichten vom Anstieg des Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit hört und von Anschlägen, dann kann man natürlich finden, dass die Wiesn, auf der sich so viele Leute treffen, kein ganz ungefährlicher Ort ist. Meine Mutter ist jedenfalls jedes Mal froh, wenn wir wieder heil und gesund zurück kommen. 

Die Yael: 

In Israel habe ich mich übrigens noch nie live mit Dirndl gezeigt. Fotos hab ich aber schon geschickt: Ich auf der Wiesn im Dirndl. Meine Tochter studiert in Tel Aviv, und da gab es an der Uni so ein Fest, für das man sich „traditionell“ anziehen sollte. Für sie eine Gelegenheit, ganz bayerisch im Dirndl zu erscheinen. 

Die Naomi:

So ist das auch ein bisschen hier. Die Wiesn bietet die Gelegenheit, sich so zu zeigen: bayerisch, fröhlich… Früher bin ich immer mit der Achterbahn gefahren. Seit ein paar Jahren mache ich das nicht mehr. Mir wird da jetzt einfach immer schlecht. 

Alle Mädels durcheinander:

Oh, ja. Mir auch…, mir auch…, mir gar nicht…, je höher umso besser… Was?!

Die Dora:

Also, bevor ich auf die Wiesn gehe, ziehe ich mein Dirndl an und dazu sehr bewusst auch meine Davidstern-Kette. Mir ist das sehr wichtig. Auch wenn es während des Oktoberfests vor allem bayerisch zugeht, möchte ich zeigen, dass ich Jüdin bin. Ich möchte zeigen: Das Jüdische ist immer da, es geht nicht verloren, auch nicht, wenn ich ein bayerisches Dirndl trage. Ich lebe fast mein ganzes Leben lang in München, aber das Jüdische bleibt einfach ein großer Teil von mir. Außerdem finde ich, dass der Stern vom Stil her ausgesprochen gut zu meinem Dirndl passt. 

Alle Mädels durcheinander:

Oh, da hast du aber recht!… Wunderschön!… Passt perfekt…

Die Dora:

Und es fragt sich ja auch, wie viele überhaupt wissen, dass das ein jüdisches Symbol ist? Die meisten denken einfach, die trägt halt einen glitzernden Stern an ihrer Kette. 

Wie sehr ich andererseits auch Münchnerin bin, merke ich immer genau dann, wenn ich weg bin von zuhause. Zum Beispiel in Israel. Ich liebe dieses Land und habe da auch viel Familie. Aber von der Mentalität her ticken die Menschen dort einfach anders. Bin ich dann wieder zurück in München, spüre ich: Hier passe ich genau rein.

Und Wiesn hin oder her… Wenn Feiertag ist, gehen wir in die Synagoge und nicht auf die Wiesn. 

Alle Mädels durcheinander:

Ist ja klar… Ja, richtig. Die Feiertage, die liegen ja immer in der Wiesn-Zeit…

Die Elena:

Ach, ja. Die Feiertage… Jom Kippur*, Sukkot*…, dazu die Wiesn… 

Das bedeutet einfach, dass wir jüdischen Frauen Ende September, Anfang Oktober recht gut beschäftigt sind. Und was man bei unserem Thema auch immer mal wieder ins Gedächtnis zurückrufen sollte, ist, dass es ja eine jüdische Familie gewesen ist, die in München so etwa um 1900 das Dirndl salonfähig gemacht hat. Die Wallachs waren Hoflieferanten und haben mit ihren wunderschönen Stoffen und Trachten den bayerischen Regenten beliefert. Ihr Geschäft lag mitten in der Altstadt. Und jetzt – seit etwa 15 Jahren – hat es die Tracht eben auch auf die Wiesn geschafft. Und ich trag sie wirklich gerne.

*Jom Kippur: Versöhnungstag, höchster jüdischer Feiertag

*Sukkot: Laubhüttenfest, fünf Tage nach Jom Kippur

Dora ist 51 Jahre alt und wurde in München geboren, wohin sie nach Frankfurt und London auch wieder zurückgekehrt ist. Dora ist die Mutter von Naomi. 

Elena ist 51 Jahre alt und lebt seit 20 Jahren in München. Geboren wurde sie in Russland, bzw. in der ehemaligen Sowjetunion, in der Stadt Samara. Mit 20 Jahren ging sie nach Israel. Es folgten weitere Stationen… und jetzt eben wieder München. 

Naomi ist 22 Jahre alt, wurde in Frankfurt am Main geboren, ist aber in München aufgewachsen. 

Valeriya wurde 1991 in Charkiw in der Ukraine geboren. Seit 2003 lebt sie in München.

Yael ist 48 Jahre alt und wurde in Jerusalem geboren. Sie lebt seit 24 Jahren in München.


Fotoausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“

Lydia Bergida (Fotografien und Idee) und Katrin Diehl (Textarbeit)
Vom 15.9. bis 18.10. im Foyer des Jüdischen Museum München
Eintritt frei