Judn ohne Wiesn: Ben und Adam

»Und Hallo, wenn meine Frau ihr Dirndl trägt, dann finde ich das wirklich sehr hübsch.«
Ben wurde 1977 in Masyr in Weißrussland geboren. 1989 ging er nach Israel, 2005 nach München. Sofia wurde 1984 in Chişinău in Moldawien geboren. Sie lebt seit 20 Jahren in München. Ben und Sofia sind die Eltern von Adam und Mika. Foto: © Lydia Bergida.
Ben wurde 1977 in Masyr in Weißrussland geboren. 1989 ging er nach Israel, 2005 nach München. Sofia wurde 1984 in Chişinău in Moldawien geboren. Sie lebt seit 20 Jahren in München. Ben und Sofia sind die Eltern von Adam und Mika. Foto: © Lydia Bergida.

Von Katrin Diehl

In der Familie wuselt es. Adam verschwindet erst einmal. Er hat mit seinen neun Jahren  natürlich den Ehrgeiz, die Lederhose alleine anzuziehen. Einfach ist das nicht, zumal er seit letztem Jahr ganz schön gewachsen ist und die Träger irgendwie verstellt werden müssen. Mika mit vier hat seinen größten Spaß, weil einfach gerade alles sehr komisch ist. Sofia, die Mama der beiden, ist so was von fotogen in ihrem Dirndl, dass man gar nicht mehr aufhören will, sie zu fotografieren. Aber sie hat’s eilig. Mika muss in den Kindergarten und danach wartet auch noch dies und das. „Also, Tschüss, Ben und Adam machen das schon.“Ben ist Sofias Mann und der Papa von Mika und Adam. Ben bringt ein bisschen Ruhe in die Sache, setzt zwischendrin auch noch seine Unterschrift unter ein Papier, weil gerade Bier geliefert wurde. Sein Grill-Restaurant ist, was ein Restaurant am Vormittag immer ist, nämlich sehr, sehr leer. Am Abend wird’s hier anders aussehen. Dafür kommen jetzt die vielen Bilder an den Wänden, vor allem Motive aus Israel, besser zur Geltung. Und das neu gestrichene Klavier. Und der selbst gebaute Tisch. „Ich hab den Lockdown genutzt“, sagt Ben. Adam mag es heute, interviewt zu werden, an einem Tisch mit dem Papa zu sitzen und Mika ist im Kindergarten. Er gibt sehr kluge Antworten. Dass die Wiesn ausfällt, mache ihn traurig und dann auch wieder nicht. Er hätte gerne ausprobiert, ob das dieses Jahr mit der Geisterbahn klappt. Andererseits bleiben ihm die Betrunkenen auf der Straße erspart und „dass es oft so eklig riecht“. Nächstes Jahr wird er eine neue Lederhose brauchen. Das ist sicher.

Der Ben

Was mir durch den Kopf gegangen ist, als dann feststand, die Wiesn fällt aus? Ich hab gedacht: „Wirklich mal was Neues. Das gab’s ja echt noch nie.“ Aber wenn ich ehrlich bin: Wenn Wiesn ist, dann spüren wir das natürlich hier bei uns im Restaurant. Aber nicht etwa im positiven Sinne. Nein, nein. Dadurch, dass wir vor allem Münchner Publikum haben, das zur Wiesn-Zeit eben lieber auf die Wiesn geht, merken wir das.

Ich komme aus Weißrussland, bin später nach Israel gegangen und dann eben 2005 in Deutschland gelandet. Aber die Wiesn war mir natürlich schon vorher ein Begriff. Und ich bin da auch gleich hin in meinem ersten Jahr. Und wenn ich das sagen darf…, das ist jetzt 15 Jahre her…, aber damals hat sie mir irgendwie besser gefallen als heute. Das Ganze war nicht nur die große Geschäftsmaschine. Und trotzdem dominiert da ja bis heute eine seltsam konservative Stimmung. Das Ganze ist sehr traditionslastig. Alles soll bleiben, wie es immer war. Und das scheint anzukommen. Das Geschäft läuft. Und weil der ganze Rummel nicht allen gefällt, gibt es ja durchaus viele Münchner, die einfach abhauen zur Wiesn-Zeit. Und das sind auch echte Münchner. Und vielleicht bin ich ja auch ein echter Münchner.

Und deshalb besitze ich mittlerweile auch eine Lederhose und zieh die auch an, wenn wir hingehen. Ich habe die von meinem Personal geschenkt bekommen. Vor sieben, acht Jahren. Zuerst fand ich das ein bissl strange, die anzuziehen. Und bis heut find ich das eigentlich kein einfaches Kleidungsstück, auch wenn ich mich ein wenig dran gewöhnt habe. Oder sagen wir mal so: Ein israelischer Jude mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion und jetzt in bayerischer Tracht, das hat schon fast was Komisches, oder? Ich zieh die jedenfalls an, denk nicht so viel drüber nach, und fühl mich als Teil der Veranstaltung. Ich habe mich integriert, verstehe die Kultur, aber meine ist sie nicht. Ich bin Gast hier und werde das auch immer bleiben.

Zusammen mit dem Personal machen wir auch einen Firmenausflug auf die Wiesn und bekommen da auch ein paar Tische im Zelt, halt über die Brauerei, mit der wir zusammen arbeiten. Alle erscheinen  natürlich in Dirndl oder Lederhose. Und Hallo. Wenn meine Frau ihr Dirndl trägt, dann finde ich das wirklich sehr hübsch. Ihr steht das und das ist auch wirklich ein sehr schönes Teil. Hab ich ihr geschenkt und ich hab Geschmack. 

Adam wurde 2011 in München geboren. Er ist der große Bruder von Mika. Mika, 2016 geboren, ist ebenfalls ein Münchner Kindl. Foto: © Lydia Bergida.

Der Adam

Ich ziehe gerne meine Lederhose an. Ich bin da auch daran gewöhnt: Wenn Wiesn ist, dann ziehe ich meine Lederhose an. Einmal bin ich ohne gegangen, als wir mit der Schule zur Bavaria sind. Ich hatte das irgendwie nicht mitbekommen und hatte für den Ausflug keine Lederhose angezogen, und da habe ich mich dann gleich nicht so richtig wohl gefühlt. Aber was man unbedingt auch sagen muss:  Einfach ist das nicht, so eine Lederhose anzuziehen. Im Gegenteil: Das ist total kompliziert. Und in dem Moment hasse ich die Lederhose dann auch. Und Pinkeln gehen! Die ganzen Knöpfe, die Reihenfolge, die Träger! Heute zum Beispiel habe ich drei Anläufe gebraucht, bis ich die an hatte. Immer hat irgendwas nicht gestimmt. 

Mit der Familie gehen wir schon öfter auf die Wiesn. In einem Jahr sind wir sogar fünfmal hin! Ich mag das Schießen. Das habe ich beim letzten Mal gelernt. Beim letzten Mal bin ich auch zum ersten Mal mit dem Kettenkarussell gefahren. Seitdem weiß ich, dass ich nie mehr in ein Kettenkarussell steigen werde. Mir war danach so schlecht!  Ich hab mich fast übergeben müssen! Ich mag noch Dosenwerfen und Luftballons abschießen. Achterbahn und Riesenrad auch. Das allerbeste aber ist diese Rutsche, die man auf einem Teppich runterrutscht. Weil da ist ja schon der Hochweg so witzig. Aber eine Sache, die haben wir bisher noch nie gemacht… Nämlich die Geisterbahn. Diese Geisterbahnen, die sehen ja schon von außen so gruselig aus, und deshalb mache ich das nicht.  Meine Freunde gehen da schon rein. Und die haben mir auch schon Tipps gegeben. Zum Beispiel, „einfach die Augen zu machen“. Irgendwann werde ich mich das sicher trauen.

Dass dieses Jahr kein Oktoberfest ist, macht mich traurig und dann auch wieder nicht. Weil, erstens liegen dann keine Betrunkenen auf der Straße rum, und zweitens ist es dann nicht so laut, wo ich wohne. Wir wohnen nämlich ganz in der Nähe von der Wiesn. Und es riecht dann dort auch oft nicht gut, und es gehen da viele so Betrunkene rum. Und das mag ich nicht.

Also, für mich ist ein richtiger Bayer einer, der nicht Hochdeutsch spricht und der jeden Tag eine Lederhose trägt und der jeden Tag in einen Biergarten geht, in dem Kellner sind, die auch jeden Tag eine Lederhose tragen. Ich bin zwar in München geboren. Aber ich bin kein Bayer. Weil ich nämlich überhaupt keine Religion haben will. Dazu kommt, erstens, dass meine Eltern eben nicht hier geboren sind, und dass zweitens die meisten meiner Verwandten in Israel leben. Einmal hatten wir Besuch aus Israel, und da sind wir auch an der Theresienwiese vorbei, und ich habe denen dann alles erklärt, was es mit der auf sich hat. Wir hatten das nämlich gerade in der Schule durchgenommen. Da hatten die wirklich Glück.

Fotoausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“
Lydia Bergida (Fotografien und Idee) und Katrin Diehl (Textarbeit)
Vom 15.9. bis 18.10. im Foyer des Jüdischen Museum München
Eintritt frei