Aktuell ist im Jüdischen Museum München die Ausstellung „München Displaced. Der Rest der Geretteten“ zu sehen. Worum geht es in der Ausstellung?
JF: Die Ausstellung beleuchtet die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aus jüdischer Sicht. Überlebende der Schoa, meist aus Osteuropa, strandeten in den Jahren 1945 und 1946 in der amerikanischen Zone. München wurde schnell zu einem Zentrum für die Sche’erit Hapleta, hebräisch „Der Rest der Geretteten“, wie sie sich selbst nannten. Versorgt von internationalen Hilfsorganisationen und unter dem Schutz der Alliierten versuchten sie, Familienangehörige zu finden, Pässe und Dokumente zu bekommen, ihre Gesundheit wiederherzustellen und einen Beruf zu erlernen, bevor die meisten von ihnen das Land in Richtung Israel, USA oder andere Länder in Übersee verließen. Die Ausstellung beleuchtet die lokale Infrastruktur, die für die jüdischen Überlebenden von zentraler Bedeutung war, um ihr neues Leben nach der Schoa zu beginnen.
Das Münchner Stadtmuseum zeigt parallel die Ausstellung „München Displaced. Heimatlos nach 1945“. Wie kam es zu der Kooperation?
JF: Ich beschäftige mich in meiner Forschung mit jüdischen Displaced Persons. Der Begriff der Displaced Persons, der „de-plazierten“ Personen, umfasst jedoch nach der Festlegung der Alliierten alle Menschen, die sich aufgrund der Kriegshandlungen im Zweiten Weltkrieg fern ihrer Heimat befanden und ohne Hilfe nicht zurückkehren konnten. Mehr als acht Millionen allein im deutschsprachigen Raum. Es handelte sich um eine sehr heterogene Gruppe, darunter Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, befreite Häftlinge aus Konzentrationslagern, aber auch Personen, die mit der deutschen Wehrmacht kollaboriert hatten und nun vor dem Zugriff der Sowjetunion flüchteten. Die wenigsten waren jüdischer Herkunft.
Viele Aspekte der Geschichte der jüdischen Displaced Persons sind schon gut erforscht, die Geschichten anderer DP-Communities überwiegend aus den baltischen Staaten, Polen, der Ukraine und Russland sowie aus kleineren Gruppen bislang weniger. Wir haben uns sehr gefreut, als das Münchner Stadtmuseum diese Herausforderung der Recherche für den Stadtraum München aufgenommen hat, so dass zwei parallele Ausstellungen unter dem Titel „München Displaced“ möglich wurden.
In der Zusammenarbeit hat sich gezeigt, dass die Displaced Persons unabhängig von ihrer Herkunft und Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg mit ähnlichen Problemen konfrontiert waren: Sie mussten ein neues Leben beginnen in einem neuen Land, den Alltag bewältigen, das wirtschaftliche Überleben sicherstellen, eine Zukunft denken, aber auch eigene Organisationen gründen, wie Schulen, eigene Parteien, eigene Zeitungsredaktionen und Suchdienste. Zu sehen sind natürlich große Unterschiede, aber auch Ähnlichkeiten für die verschiedenen DP-Gruppen.
Was hast Du in Deinen Recherchen Neues herausgefunden?
JF: Während der Recherche wurde immer deutlicher, dass sich die Displaced Persons in der Münchner Nachkriegsgesellschaft nicht passiv verhielten und verwaltet wurden, sondern sie nutzen viele Möglichkeiten, sich selbst zu organisieren und Fähigkeiten und Kenntnisse in ihren Alltag in München einzubringen. Sie meldeten Gewerbe an, als Schneider oder Uhrmacher, eröffneten die Synagoge in der Reichenbachstraße wieder, reagierten auf die Politik im britischen Mandatsgebiet wie auch auf Antisemitismus in München mit sichtbaren Protesten im Stadtraum.
Besonders hat mich die „Ausstellung der Jüdischen Künstler“ im November 1948 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus fasziniert – ein völlig vergessenes Kapitel. Eine Künstlerin und vier Künstler der Sche’erit Hapleta Eva Brzezinska, Maximilian Feuerring, Hirsch Szylis, Pikus Schwarz (später Pinchas Shaar) und Leon Kraicer stellten in München ihre Arbeiten aus, die im Ghetto oder später im DP-Lager entstanden waren. Sie setzten sich so aktiv für die Sichtbarkeit ihrer künstlerischen Perspektiven ein.
Wie können sich Besucher*innen an der Ausstellung beteiligen?
JF: Die Ausstellung regt Fragen nach Zugehörigkeit, Heimat und Zuflucht an, die für viele von uns heute sehr relevant sind. In unseren Rundgängen geht es auch um Themen wie Migration und Identität. Es entstehen persönliche Gespräche zwischen den Museumsmitarbeiter*innen und den Besuchenden, die normalerweise nicht stattfinden würden. Vor allem bei älteren Besucher*innen weckt die Ausstellung auch Erinnerungen an die Zeit, als sie noch jung waren. Wir fordern unser Publikum auch aktiv dazu auf, Fotos und Informationen zu ergänzen, die Lücken in der Überlieferung füllen könnten.
Dies funktioniert übrigens auch im digitalen Raum: Gestern hat sich der Sohn eines ehemaligen DPs aus den USA gemeldet, da er auf einem Pressebild zur Ausstellung ein Plakat erkannt hat, das sein Vater im Jahr 1947 für die Historische Kommission München gestaltet hat. Das sind ganz besondere Momente für uns.
Worauf können wir uns im Rahmenprogramm zur Ausstellung freuen?
JF: Zusätzlich zu den Kuratorinnenführungen in den Ausstellungen bieten wir Rundgänge an historischen Orten zur DP-Geschichte an. Einen Rundgang durch den Münchner Stadtteil Bogenhausen, in dem viele internationale Hilfsorganisationen nach dem Zweiten Krieg ihre Büros hatten und sich der größte Grau- bzw. Schwarzmarkt Münchens befand. Außerdem können Sie die Synagoge Reichenbachstraße, die Erzabtei St. Ottilien und das Badehaus Föhrenwald besuchen und mehr über die DP-Geschichte dieser erfahren. Wir danken unseren Kolleginnen und Kollegen, die dies möglich machen, sehr für die Unterstützung!
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