Zwölf Monate – Zwölf Namen: Amitzur Shapira

Der Trainer und vierfache Vater Amitzur Shapira ist 1972 Mitglied der israelischen Delegation bei den Olympischen Spielen in München. Er und zehn seiner Kollegen sowie ein bayerischer Polizist werden von Attentätern des „Schwarzen September“ getötet. 50 Jahre danach gedenken wir unter dem Titel „Zwölf Monate – Zwölf Namen“ jeden Monat einem der Opfer. Im Juli widmen wir Amitzur Shapira eine Installation an der Museumsfassade des Jüdischen Museums München.
Schwarzweiß Portraitfoto Amitzur Shapira in weißem Hemd
Amitzur Shapira, © privat

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Amitzur Shapira wird am 9. Juli 1932 in Tel Aviv geboren. Hierhin waren seine Eltern Malka und Yossef Shapira kurz zuvor aus der Sowjetunion eingewandert und hier kommt auch sein Bruder Arik zur Welt. Im Alter von zehn Jahren beginnt Amitzur Shapira seine sportliche Laufbahn. Er wird Leichtathlet und in jungen Jahren zu einem der erfolgreichsten Kurzstreckenläufer des Landes. Nach seiner aktiven Karriere studiert er Psychologie, Pädagogik und Literatur in Tel Aviv und danach Sport am Wingate Sportleistungszentrum, Netanya, Israel. Er arbeitet als Sportlehrer, Trainer beim Sportverein HaPoel Tel Aviv und schließlich als Dozent und Trainer für Hochleistungssportler _innen in Wingate und wird Cheftrainer des Leichtathletik-Nationalteams. Er reist mehrfach ins Ausland, um neue Trainingsmethoden kennenzulernen und verfasst zahlreiche Artikel über Sport im Allgemeinen und Leichtathletik im Besonderen. In seiner Freizeit unterstützt er, wie bereits sein Vater, neu nach Israel eingewanderte Sportler_innen.

Amitzur Shapira als junger Mann beim Speerwurf, im Hintergrund: Sportplatz mit Zaun und zwei Personen in Trainingskleidung
Amitzur Shapira am Wingate Sportleistungszentrum, Netanya 1963, © privat

1964 betreut Amitzur Shapira die Kurzstreckenläuferin Miriam Siderenski bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio. 1966 entdeckt er das außergewöhnliche Talent der erst 14 Jahre alten Läuferin Esther Shahamorov, indem er sie – wie sie erzählt – zum 60-Meter-Lauf herausfordert, und verliert. Daraufhin verspricht er ihr, sie als ihr Trainer bis zu den Olympischen Spielen zu bringen. In den folgenden Jahren wird er zur väterlichen Figur für Esther Shahamorov und sie zur bis dato besten Läuferin Israels.

1972 betreut der inzwischen vierfache Vater Esther Shahamorov als Israels größte Medaillenhoffnung bei den Olympischen Spielen in München. Sie schlägt nicht nur ihre persönliche Bestzeit, sondern bricht israelische Rekorde. Am 4. September qualifiziert sie sich für das Halbfinale in ihrer Paradedisziplin 100-Meter-Hürdenlauf, in der sie eine realistische Chance auf eine Medaille hat. Es wäre die erste in der Geschichte Israels. Ihre Qualifikation wird von der Mannschaft schon als historischen Erfolg gefeiert und so ist die Stimmung ausgelassen, während die beiden am selben Abend im Deutschen Theater München gemeinsam mit ihrer Delegation und dem israelischen Musicalstar, Shmuel Rodensky, Hauptdarsteller der gezeigten „Anatevka“-Inszenierung beiwohnen. Nach der Aufführung kehren die Sportler_innen in ihre Quartiere im Olympischen Dorf zurück. „Als wir zurück ins Dorf kamen, verabschiedete sich Amitzur von mir mit den Worten, dass wir uns am nächsten Morgen im Speiseraum sehen würden …“, erinnert sich Esther Shahamorov. 

Shmuel Lalkin in Jackett und Krawatte, Amitzur Shapira in dunkelblauem Hemd und heller Hose, Shmuel Lalkin steht mittig und trägt Jeans und einen gestreiften Pullunder. Sie hält Bananen und Joghurt in der Hand. Alle drei lächeln.
V.l.n.r.: Shmuel Lalkin (Chef der Mission), Esther Shahamorov und Amitzur Shapira bei den Olympischen Spielen in München 1972, © privat

Doch wenige Stunden später wird Amitzur Shapira von Terroristen des „Schwarzen September“ als Geisel genommen. Es beginnen quälende Stunden der Ungewissheit für seine Angehörigen und Teammitglieder. Erst langsam wird klar, welche Mitglieder der israelischen Delegation, getötet wurden, wer gefangen genommen wurde und wer fliehen konnte. Die Verhandlungen zwischen dem Krisenstab und den Terroristen ziehen sich über den ganzen Tag, der mit der Nachricht endet, dass alle noch lebenden Geiseln befreit worden wären. Amitzur Shapiras Kinder gehen erleichtert zu Bett, Esther Shahamorov bekommt vom Teamarzt Medikamente, um schlafen zu können. Sie erzählt: „Ich habe die ganze Nacht wild geträumt, dass ich gut laufe – für meinen Trainer.“ Am nächsten Morgen erfahren sie, dass alle israelischen Geiseln tot sind. Esther Shahamorov muss den Sarg ihres Trainers zurück nach Israel begleiten, anstatt den gemeinsamen Traum von Finale erleben zu können.

1974 erscheint posthum Amitzur Shapiras Buch „Leichtathletik in der Schule. Aus dem Nachlass eines Lehrers und Trainers“ und wird zum Standardwerk der Sportpädagogik. 1976 tritt Esther Shahamorov-Roth, inzwischen verheiratete Mutter eines Sohnes, bei den Olympischen Spielen in Montreal an, um ihren gemeinsamen Traum doch noch zu erfüllen. Als erste israelische Sportlerin erreicht sie das Olympische Finale im 100-Meter-Hürdenlauf.

Text: Angela Libal; Recherche: Piritta Kleiner, Kuratorin des Erinnerungsortes Olympia-Attentat München 1972, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

ZWÖLF MONATE – ZWÖLF NAMEN
50 Jahre Olympia-Attentat München

50 Jahre nach den Olympischen Spielen in München wird 2022 ganzjährig an das Olympia-Attentat am 5.-6. September 1972 erinnert werden. Jeden Monat steht dabei ein Opfer im Mittelpunkt des Gedenkens. Es werden verschiedene Interventionen im öffentlichen Raum stattfinden, von Installationen, die den ganzen Monat über zu sehen sein werden, bis hin zu eintägigen Aktionen.

Konzipiert und koordiniert wird das Erinnerungsprojekt vom Jüdischen Museum München und vom NS-Dokumentationszentrum München in Zusammenarbeit mit dem Generalkonsulat des Staates Israel. Die Umsetzung erfolgt mit Kooperationspartnern wie dem Historischen Verein Fürstenfeldbruck e.V., dem Deutschen Theater, der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck und dem Polizeipräsidium München sowie weiteren Kultur- und Bildungseinrichtungen und anderen Interessierten.

Juli

Banner mit einem Foto von Shapira beim Weitsprung, darunter Text und weitere Fotos
Fassadeninstallation am Jüdischen Museum München, Foto: © Daniel Schvarcz

Das Jüdische Museum München erinnert im Juli mit einer Fassadeninstallation an Amitzur Shapira. Auf einem Banner ist er als junger Sportler zu sehen. Die Informationstafel darunter stellt Shapira als leidenschaftlichen Sportler, Trainer und Familienmenschen vor. Die Installation ist Tag und Nacht am St.-Jakobs-Platz frei zugänglich.