Von Marina Maisel
Oft werde ich gefragt, wie wir Jüdinnen und Juden in der ehemaligen Sowjetunion unsere Jüdischkeit gelebt hätten. Meine Antwort auf diese Frage ist meistens: in der Küche. Und das in zweierlei Hinsicht. In unseren kleinen Wohnungen war die Küche der Ort, an dem die Familie zusammenkam, wo Freunde empfangen wurden und wo oft die wichtigsten Gespräche geführt wurden. Gerade Themen, die öffentlich nicht besprochen werden konnten, wie politische Fragen, kamen in der Küche auf den Tisch. Doch nicht nur das. In unseren Küchen konnten wir auch jüdische Tradition lebendig halten, indem wir jüdische Gerichte zubereiteten. Die jüdische Küche war etwas, was von Generation zu Generation weitergegeben wurde und was uns keiner nehmen konnte. Ob es Vorschmack, Tscholent, Kugel, Zimmes, Kreplach oder Lejkech waren – hier hatte jeder seine „richtige“ Familienrezeptur. Viele sogenannte Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion haben – wie ich – ihre jüdischen Rezepte auch nach Deutschland mitgebracht und natürlich ihre eigene Geschichte dazu.
Strudel nach Oma Cilias Art
Meine Tante Feiga weihte mich schon als kleines Mädchen in das Rezept für den Strudel ein, den ihre Mutter, also meine Oma Cilia, gebacken hat. Oma Cilia stammte aus der ukrainischen Stadt Uman. Leider habe ich sie nie kennengelernt, denn sie starb noch vor meiner Geburt. Aber wenn ich heute Strudel backe, denke ich immer, dass meine Hände genau die Bewegungen machen, die damals die Hände meiner Oma gemacht haben. Das Wort „Strudel“ stand in meiner Familie ausschließlich für das leckere Gebäck nach Oma Cilias Art. Ich weiß genau, wie man den Teig dafür richtig macht, nämlich „am besten mit Kefir“, wie man ihn ausrollt, wie genau die Füllung verteilt wird und wie und warum man den gebackenen Strudel sofort aufschneidet. In meiner Kindheit kamen die Kirschen für den Strudel aus einem besonderen Glas mit selbstgemachter Sauerkirschmarmelade, in der die Früchte noch ganz waren – „Warenje“, so heißt diese Marmelade auf Russisch. Erst in Deutschland erfuhr ich, dass Strudel auch hier eine traditionelle und beliebte Art Gebäck ist, von der es unzählige Varianten gibt.
Gerne verrate ich hier mein Strudel-Familienrezept. Und was wir Kontingentflüchtlinge sonst noch aus unseren jüdischen Küchen mitgebracht haben, das erzähle ich beim nächsten Mal.
Rezept
Zutaten für den Teig:
- 450 g Mehl
- 1 Ei
- 125 g Schmand
- 125 g Kefir
- ½ Teelöffel Soda (Natron)
Zutaten für die Füllung:
- Ca. 100 ml Sonnenblumenöl (etwas auf den ausgerollten Teig, den Rest zum Backen in der Form)
- 40 g Zucker
- Zitronensaft von einer mittelgroßen Zitrone
- 180 g getrocknete Pflaumen
- 100 g Rosinen
- Ca. 200 g Kirschkonfitüre (nur die Früchte), alternativ tiefgefrorene Kirschen mit Zucker bestreut oder Kirschkompott (nur die Früchte)
- 100 g Walnüsse Etwas Zimt zum bestreuen
Zubereitung
Aus den Teig-Zutaten einen weichen Teig kneten und ihn einige Zeit ruhen lassen (15-20 min). In dieser Zeit die Pflaumen klein schneiden, Walnüsse mit dem Messer grob zerkleinern.
Den Teig in zwei Teile teilen.
Den ersten Teil ausrollen, mit Sonnenblumenöl bepinseln, mit Zitronensaft bespritzen und mit Zucker bestreuen. Dann jeweils die Hälfte der getrockneten Pflaumen, Rosinen, Kirschen und Walnüsse auf der halben Teigfläche gleichmäßig verteilen. Nun wird der Teig von der Seite der Füllung aus eng zusammengerollt. Die beiden Enden werden mit Teig verschlossen (zugeklebt).
In eine tiefere, viereckige Form Sonnenblumenöl eingießen und den ersten Strudel vorsichtig im Öl platzieren.
Die gleiche Prozedur nun mit der zweiten Teighälfte vornehmen und den zweiten Strudel neben den ersten in die Backform legen. Beide Strudel mit Sonnenblumenöl bepinseln und mit Zimt bestreuen.
Den Backofen auf 180 Grad vorheizen und (bei Ober- und Unterhitze) die Strudel 40-45 Minuten backen. Dann die Strudel in der Form abkühlen lassen, damit das restliche Öl in das Gebäck einziehen kann.
Wenn die Strudel abgekühlt sind, am besten gleich beide Strudel in Stücke schneiden.
Guten Appetit!