
LT: Die Geschichte des Münchner Familienunternehmens Rosa Klauber reicht zurück ins 19. Jahrhundert, als die Namensgeberin mit ihren Spitzen aus Böhmen zur Auer Dult nach München kam. Nachdem die Zuzugsbeschränkungen für Jüdinnen und Juden wegfielen, gründete sie hier ihr Spitzenhaus, das über drei Generationen zu den besten Adressen in München gehörte. Ab 1927 produzierten Rosa Klaubers Enkel auf dem Gelände des heutigen Kreativquartiers, auf dem sich auch das PATHOS theater befindet, Damenwäsche. Wie seid ihr auf Rosa Klauber und die Wäschefabrik aufmerksam geworden?
JH: Ich arbeite im Kreativquartier und laufe jeden Tag an einer Tafel vorbei, die an Rosa Klauber erinnert. Ich fand es total interessant, dass es auf dem Gelände, auf dem ich jeden Tag Zeit verbringe, diese Fabrik gab. Als wir uns mit Traummaschine Inc. für eine Dreijahresförderung der Bundeskulturstiftung beworben haben, fiel mir Rosa Klauber wieder ein und ich dachte mir, das passt: Es geht um Handwerk, es hat mit dem spezifischen Ort zu tun, es ist eine spannende Biografie und es geht um das Material Spitze, der viele Assoziationen aufmacht. Wir fanden es inspirierend, uns diesem Thema auf unterschiedlichen Ebenen zu nähern.
CT: Das Projekt, das wir vorher gemacht haben, war ein Stück über die Jogginghose. Das war das Kleidungsstück, mit dem wir uns vorher beschäftigt haben. Ich hatte keinen großen Bezug dazu und es war interessant, mit jungen Leuten über Jogginghosen zu sprechen und was die für sie bedeuten. Und jetzt eben Spitze.
LT: Wer verbirgt sich hinter Traummaschine Inc.?
JH: Traummaschine Inc. ist unser Theater-Kollektiv. Das sind im Kern vier Menschen. Christoph und ich leben in München, Charlotte und Pascal in der Nähe von Hamburg.Die Entwicklung und Recherche haben wir über Monate gemeinsam gemacht, auf der Bühne stehen Christoph und ich, Pascal hat die Musik für das Projekt gemacht und Charlotte Texte aufgenommen. Und dann sind viele weitere tolle Menschen dazugekommen: Olaf Becker als Schauspieler und dann fünf Damen, die während des Stücks Spitze klöppeln. Sie werden unterstützt von zwei Pädagoginnen vom Kinderkunsthaus. Wir wollen ja, dass die Kinder auch selbst ein bisschen was handwerken. Für Bühne und Ausstattung konnten wir den jungen Künstler Joe Bogner Carbò, vom Young PATHOS Kollektiv, gewinnen. Und dann gibt es noch unsere Produktionsleiterin Laura Martegani, die den ganzen Wahnsinn zusammenhält.
CT: Und unseren Filmemacher Ben Ibam Reiss. Er arbeitet an Videos für einen QR-Walk. Nach der Live-Performance soll etwas entstehen, was an dem Ort bleibt und an Rosa Klauber und die Fabrik erinnert.
LT: Ihr arbeitet in dem Projekt auch mit Schüler*innen der Mathilde-Eller-Schule, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, zusammen. Wie war das?
CT: Man merkt, dass an der Schule kontinuierlich kreativ gearbeitet wird. Die binden die Schülerinnen und Schüler ganz selbstverständlich ein. Das ist bemerkenswert, weil sie sehr unterschiedlich sind in ihren Skills, ihren Begabungen und ihrer Aufmerksamkeitsspanne. Für uns hatte jeder Tag an der Mathilde-Eller-Schule eine ähnliche Dramaturgie: Es fängt wahnsinnig chaotisch an; man weiß nicht, wann der Unterricht überhaupt anfängt.
JH: Aber dadurch, dass der Zugang so selbstständig ist, bekommt das Ganze eine tolle Eigendynamik. Es gibt zum Beispiel einen Jungen, der liebt Märchen und kann wahnsinnig gut erzählen. Bei unserem ersten Besuch hat er uns das Märchen von den drei kleinen Schweinchen erzählt, das wir in unser Stück eingebaut haben.
CT: Genauso ist es: Wir kommen mit Ideen, was wir an dem Tag mit den Schülerinnen und Schülern machen wollen – offiziell ist es ein Workshop, den wir an der Schule halten sollen – und dann kommen in der Zusammenarbeit Dinge dazu, an die wir nie gedacht hätten.
LT: Euer Stück arbeitet mit ganz verschiedenen Assoziationen und Versatzstücken. Neben dem Märchen gibt es auch Texte von Amina Hassan und Lili Roesing, die an der UdK Berlin Szenisches Schreiben studieren. Wie habt ihr es geschafft, diese ganzen verschiedenen Ebenen zusammenzubekommen?
JH: Die beiden Autorinnen haben ganz frei auf das Thema reagiert. Wir haben zum Beispiel an einer Stelle gesagt, irgendwie taucht bei uns ein Vogel auf, wir wissen gar nicht, warum. Und dann hatte eine der beiden Autorinnen die Inspiration zu einem Text über einen Vogel mit Spitzenflügeln. Daraus haben wir dann einen Song gemacht. Das ist ein gegenseitiges Sich-Inspirieren und Anknüpfen. Man knüpft sich so rein ins Projekt. Ich denke, das passiert automatisch, wenn man in einem Kollektiv arbeitet.
CT: Das ist das erste Mal, dass wir mit einer richtigen Lebensgeschichte arbeiten. Normalerweise erfinden wir unsere Geschichten sehr, sehr frei. Das war eine Gratwanderung. Deswegen haben wir auch das Jüdische Museum München zu Rate gezogen. Und dann kam der Kontakt mit Mark Klauber.
LT: Mark Klauber ist ein Ur-Ur-Enkel von Rosa Klauber und lebt in New York. Nachdem das Familienunternehmen in München 1938 „arisiert“ worden war, sind Rosa Klaubers Enkel in die USA geflohen. Die Familie stellt bis heute Spitze her. Wie war der Kontakt für euch?
CT: Für mich hat das Projekt wahnsinnig an Dynamik gewonnen ab dem Zeitpunkt, an dem wir eine E-Mail an Mark Klauber geschrieben haben, beziehungsweise an die Klauber Brothers-Geschäftsadresse. Wir wussten nicht, ob da überhaupt eine Antwort kommt. Und dann hat Mark innerhalb von fünf Minuten zurückgeschrieben. Wir haben E-Mails hin und her geschrieben und gezoomt. Es sind neue Elemente im Stück dazugekommen, zum Beispiel Micky Maus, denn gleich bei unserem ersten Gespräch hat Mark uns erzählt, dass er mit seinem Enkel nach Disneyland fährt. Ich dachte, das ist so ein Klischee, aber dann hat es gut reingepasst. Auch der Impuls zu Rosa Klaubers Heimatort zu fahren, kam von ihm. Für mich war es eine ganz besondere Arbeitsweise, von dem Moment an, in dem da eine reale Person existiert, deren Familiengeschichte man erzählt.
JH: Für mich war es besonders berührend, als wir an Rosa Klaubers Grab auf dem Alten Israelitischen Friedhof waren. Da hatte eine Spinne ihr Netz genau an ihrem Grabstein gebaut. Das wehte da so im Gegenlicht, dass es wie ein ganz fragiler Spitzenstoff aussah.
LT: Hat die Arbeit an dem Stück eure persönliche Perspektive auf Spitze verändert?
JH: Wenn ich Spitze sehe, bei Unterwäsche oder so, frage ich mich jetzt: Ist das Klauber-Spitze oder wo wurde die produziert? Ich schaue da schon genauer hin.
CT: Also, ich habe meinen Blick auf Spitze generell geschärft. Zum Beispiel, als wir durch Lettin [Letiny, heute Tschechien; Rosa Klaubers Geburtsort] gegangen sind, hingen in jedem zweiten Fenster Spitzen-Vorhänge. Das wäre mir vorher nie aufgefallen.
JH: (lacht) Aber es ist jetzt nicht so, dass wir privat nur noch in Spitze rumlaufen.
LT: Danke für das Gespräch und toi, toi, toi für die Premiere!

„Die Fabrik der verlorenen Fäden. Wer war Rosa Klauber?“ ist von Do, 05.06. bis So, 08.06. im PATHOS theater zu sehen. Zum Spielplan.
Judith Huber ist Schauspielerin, Performerin und Autorin. Sie lebt in München und entwickelt – allein oder gemeinsam mit anderen – Theaterstücke, Texte, Performances und Installationen.
Christoph Theussl ist Satiriker, Schauspieler, Lieder- und Theatermacher. Er ist Mitbegründer des seit 2013 in Hamburg und München tätigen Kindertheaterkollektives „Traummaschine Inc.“.