Eine dieser Geschichten ist jene von Bertha Engelhard, deren Familie in der Zwischenkriegszeit aus Galizien nach München eingewandert war. Die Familie Engelhard war wie alle polnischen Jüdinnen und Juden im Oktober 1939 von der Abschiebung nach Polen bedroht. Tausende strandeten damals im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Polen, weil beide Staaten sich weigerten, diese Menschen (wieder) aufzunehmen. Unter den Gestrandeten befand sich auch die Familie von Herschel Grynszpan. Viele von ihnen wurde später von den Deutschen ermordet. Die Familie Engelhard entging diesem Schicksal, weil sie noch rechtzeitig gewarnt worden war und sich der Abschiebung entziehen konnte. Im Frühjahr 1939 konnte Bertha, die damals erst 15 war, gemeinsam mit ihrem Bruder auf einem Kindertransport nach England entkommen. Ihre jüngste Schwester Inge kam auf einem späteren Transport nach. Den Eltern Moses und Rosa gelang es schließlich 1940 nach Jugoslawien zu fliehen. Ende 1943 war die Familie in England wieder vereint.
Seit Mitte Juli steht ein weiterer Grenzstein, der Bertha Engelhards Geschichte zum Sprechen bringt, im Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München. Diese Einrichtung erinnert an die deutschsprachige Kultur Mittel- und Osteuropas. Zu dieser Kultur, die in einen multikulturellen und mehrsprachigen Raum eingebettet war, gehörten auch viele Jüdinnen und Juden, gerade aus den östlichen Gebieten der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Die „Grenzsteinsetzung“ fand im Beisein des Hausherren Prof. Dr. Andreas Otto Weber und des Kurators der Ausstellung Sag Schibbolet! Boaz Levin statt.
Im November diesen Jahres wird der Historiker Niko Hofinger in einer Kooperationsveranstaltung mit dem Jüdischen Museum die bislang unerzählte Geschichte des 1944 in München hingerichteten Grenzgängers Arthur Vogt im Haus des Deutschen Ostens vorstellen.
Von Nikolaus Hagen
Literaturhinweis: Anja Siegemund, Zur Familiengeschichte der Engelhards, in: Douglas Bokovoy/Stefan Meining (Hg.), Versagte Heimat. Jüdisches Leben in Münchens Isarvorstadt 1914–1945, München 1994, S. 311–320.