Charlotte Knobloch: Ein Münchner Leben

Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sprach im Vorfeld des „Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ als Zeitzeugin im Jüdischen Museum München. Ihre Erinnerungen an ihr Überleben im Versteck, die Nachkriegszeit in München und ihr Wirken als Gemeindepräsidentin, teilte sie im Gespräch mit dem Moderator des Abends, Andreas Bönte, und den zahlreich erschienenen Zuhörer_innen.
Charlotte Knobloch im Gespräch mit Andreas Bönte.
Charlotte Knobloch beim Zeitzeuginnenabend im Jüdischen Museum München, 25.01.2023, Foto: © JMM, Daniel Schvarcz

Geboren wurde Charlotte Knobloch als Charlotte Neuland am 29. Oktober 1932 in München. Sie wuchs bei ihrem Vater, dem Rechtsanwalt Fritz Neuland, sowie ihrer Großmutter Albertine Neuland auf. Ihre Mutter Margarethe Neuland war für die Eheschließung zum Judentum konvertiert, hielt jedoch dem Druck der Nationalsozialisten nicht stand und verließ die Familie 1936. Es war ihre Großmutter, die das „Münchner Madl“ in die jüdische Religion und Kultur einführte, sie kümmerte sich um ihre Enkelin, wenn der Vater bei der Arbeit war. Dieser war ein hoch geachteter und bekannter Rechtsanwalt mit Kanzlei in der Innenstadt, am Stachus. Sehr gerne besuchte die Tochter ihn dort.

Durch die Münchner Innenstadt lief Charlotte Knobloch mit ihrem Vater auch 1938 während der Novemberpogrome. Fritz Neuland hatte eine Warnung erhalten. Um einer Festnahme zu entgehen, hatte er mit der Tochter die Wohnung verlassen. Als er in seiner Kanzlei anrief, um herauszufinden, ob es dort für sie sicher wäre, nahm ein SS-Mann den Anruf entgegen. Der Anwalt regierte schnell, fragte, ob Fritz Neuland zu sprechen sei. „Nein, wir warten auch auf ihn“, war die Antwort. „So wussten wir, dass wir auch dort nicht hinkönnen“, erzählt Knobloch. Und auch die Synagoge sah sie brennen. „Warum ruft denn niemand die Feuerwehr?“, habe sie gerufen und der Vater sie schnell weggezogen.

Im Juli 1942 deportierten die Nationalsozialisten Albertine Neuland in das Ghetto Theresienstadt. Kurz darauf kontaktierte Fritz Neuland die ehemalige Haushaltshilfe seines Bruders, die Katholikin Kreszentia Hummel, und bat sie, seine Tochter auf dem Bauernhof der Familie Hummel im mittelfränkischen Arberg zu verstecken. Hummel willigte ein und nahm die Neunjährige auf. Im Dorf wurde „Lotte Hummel“ schnell als „Bankert“ (uneheliche Tochter) angesehen. Diese Mutmaßung genügte den Nationalsozialisten als Erklärung und sorgte dafür, dass das Mädchen unentdeckt in Arberg die Schoa überlebte. Für ihren Mut und Einsatz wurde Kreszentia Hummel 2017 postum als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

Charlotte Knobloch als „Lotte Hummel“ im mittelfränkischen Arberg 1944, Foto: © privat, Reproduktion Birgit Mair, ISFBB e.V., 2021

1945 wurde aus „Lotte Hummel“ wieder Charlotte Neuland und sie traf ihren Vater wieder. Fritz Neuland überlebte schwere Zwangsarbeit. Dennoch entscheid er sich dazu, in München zu bleiben. Er wollte die jüdische Gemeinde wieder aufbauen, glaubte daran, dass in Deutschland eine neu definierte Demokratie etabliert werden könne.

Ihre Großmutter hingegen sah die nun 13-Jährige niemals wieder: Albertine Neuland verhungerte im Januar 1944 in Theresienstadt.

Anders als ihr Vater wollte die junge Frau Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Die geplante Auswanderung in die USA verschob sich jedoch immer weiter. 1951 heiratete Charlotte Neuland Samuel Knobloch, der als junger Mann das Krakauer Ghetto überlebt hatte. Sie bekamen ihr erstes Kind und entschlossen sich, vorerst in München zu bleiben. Ein Umzug in das englischsprachige Ausland mit Kind schien zu schwierig. Es folgten zwei weitere Kinder und schlussendlich entschied die Familie, in München zu bleiben.

Charlotte Knobloch folgte ihrem Vater 1982 in den Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, drei Jahre später wurde sie deren erste Präsidentin und ist es bis heute. Von 1997 bis 2006 setzte sie sich als Vize-Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland für die Belange der jüdischen Bevölkerung ein, von 2006 bis 2010 als dessen Präsidentin. Wenige Menschen haben das jüdische Leben in Deutschland so entscheidend geprägt wie Charlotte Knobloch, auch auf lokaler Ebene hat sie vieles bewegt. Vor allem das sogenannte Jüdische Zentrum, mit Gemeindezentrum, der neuen Hauptsynagoge Ohel Jakob sowie dem Jüdischen Museum München, ist für sie ein Herzensprojekt, das sie sich jahrelang einsetzte.

Wir sind heute aus dem Nebeneinander im Miteinander angekommen.

Charlotte Knobloch

Im Anschluss an das Gespräch mit Andreas Bönte war der Applaus groß. Zum Ende der Veranstaltung beantwortet Charlotte Knobloch ausführlich die Publikumsfragen. Auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung hatten die Möglichkeit den Abend mit Gebärdensprachdolmetschung mitzuverfolgen und nutzten die Möglichkeit ihre Fragen zu stellen.

V.l.n.r.: Reiner Schübel, Ev. Vorsitzender GCJZ.; Barbara Kittelberger, GCJZ; Jutta Fleckenstein, Stellv. Direktorin JMM; Zeitzeugin Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin IKG; Dr. Andreas Bönte, Stellv. Programmdirektor BR; Celeste Schuler, GCJZ / Stellv. Vorsitzende Beth Shalom; Dr. Andreas Renz, Kath. Vorsitzender GCJZ; Dr. Barabara Hepp, Leiterin Ev. Stadtakademie; Dr. Claudia Pfrang, Leiterin Domberg Akademie; Johannes Rehm, GCJZ

Das Jüdische Museum München bedankt sich bei Frau Dr. h. c. Charlotte Knobloch, die sich die Zeit nahm, über ihre Erinnerungen zu sprechen. Des Weiteren gilt unser Dank den Kooperationspartnern: der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit, der Evangelischen Stadtakademie, der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Shalom, der Europäischen Janusz Korczak Akademie, der Domberg Akademie sowie Andreas Bönte, stellvertretende Programmdirektor des Bayerischen Rundfunks, für die Moderation. Besonderer Dank auch an unsere Gebärdensprachdolmetscherinnen Daniela Unruh und Lisa von Fürstenberg.

Eine Aufzeichnung des Gesprächs finden Sie auf unserem YouTube-Kanal: