Internationaler Museumstag: Apollo mit den zwei Inschriften

Zum 40. Internationalen Museumstag ruft der Deutsche Museumsbund zur Spurensuche auf. „Die Geschichte hinter dem Exponat“ so heißt das diesjährige Motto. Der Aufruf lautet „umdrehen“, auf die Rückseite schauen, nach Sammlungsgeschichte, nach Spuren früherer Verwendung und Besitzer schauen. Da machen wir gerne mit, nur umdrehen, das ist bei dem hier ausgewählten Exponat gar nicht nötig. Unmittelbar – wenn man gute Augen hat oder eine Lupe – kann man die Geschichte dahinter erfahren.
Pokalfigur "Apollo"/ Leihgabe Haft Family, Albuquerque/New Mexico. Foto: Franz Kimmel
Pokalfigur “Apollo”/ Leihgabe Haft Family, Albuquerque/New Mexico. Foto: Franz Kimmel

Spielbein-Standbein, am Arm einen Bogen, den rechten Zeigefinger gespreizt, den Kopf schräg nach unten gerichtet: Apollo, Gottheit der griechischen Mythologie, so steht er da in unserer aktuellen Ausstellung „Never Walk Alone. Jüdische Identitäten im Sport“ und die Betrachtenden schauen ihn an und bemerken, zumindest auf den zweiten Blick, gleich zwei Inschriften. Eigentlich zwei zu viel, auf solch einer sich selbst erklärende Statue und auch irgendwie nicht ganz passend. Da heißt es u.a.: American Joint Distribution Committee/Far dem Bestn Jidiszin Bokser, Minchen 1947.

Apollo – der Gott der Schönen Künste als Auszeichnung für den Sieger eines Boxkampfs? In München 1947? So kurz nach Ende des Krieges, zur Ehrung eines „jüdischen Boxers“? Und was ist das eigentlich für eine Sprache? Eine Spurensuche par exellence.

In welchem privaten Wohnzimmer oder öffentlichen Raum diese Bronzestatue einst zur Zierde stand, die um 1910 von dem Passauer Bildhauer Rudolf Lenck gegossen wurde, wissen wir nicht. Aber nach der Schoa erhielt sie im Kontext einer jüdischen Perspektivierung eine neue Bedeutungsebene, die sie für unsere aktuelle Ausstellung zu einem Schlüsselobjekt für die Zeit nach 1945 macht. In den drei westlichen Besatzungszonen entstanden unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges Camps für jüdische Überlebende aus Osteuropa und bis Mitte der 1950er Jahre hielten sich Hunderttausende sogenannte Displaced Persons (DPs) in Deutschland auf. Diese Jahre waren geprägt vom Wunsch Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen und in den USA oder Palästina, später Israel, einen neuen Lebensort zu finden. Doch erst mal hieß es für die Überlebenden wieder zu Kräften kommen, das war vorrangiges Zeil und der Sport war ein maßgeblicher Teil davon. Neben Fußball war es vor allem das Boxen, das vielen half wieder zu körperlicher Kraft und Gesundheit zurückzufinden. Auch Herzko Haft war unter den Boxern, ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz. Einst wurde er von den Wachmannschaften des KZs für Unterhaltungszwecke zum Boxen gezwungen, jetzt als DP kämpfte er aus eigenen Stücken und schaffte in dem von den Amerikanern 1947 organisierten Boxkampf, bei dem im Circus Krone mehr als 50 Boxer aller Gewichtsklassen gegeneinander antraten, den Sieg. Die Apollo-Statue erhielt er in Ermangelung anderer Materialien als Siegerpokal überreicht. Die Umwidmung zur Siegertrophäe unterstrich man gleich durch zwei Inschriften, in beiden wird auf das außerordentliche Sportereignis verwiesen, in Jiddisch, der Sprache, die unter den DPs die vorrangig verwendete Sprache war. Herzko Haft gelang es in die USA auszuwandern und von dort, genauer von Albuquerque/New Mexico, trat nun der Apollo mit den jiddischen Inschriften seine Reise an, zurück an den Ort seiner Herkunft, als Leihgabe in unserer Ausstellung.

Pokalfigur “Apollo”/ Leihgabe Haft Family, Albuquerque/New Mexico. Foto: Franz Kimmel