Judn ohne Wiesn: Ron und Gil

»Die meisten Lieder kann ich nach ein, zwei Maß.«
Ron (links) ist 25 Jahre alt. Er wurde zwar in Augsburg geboren, ist aber in München aufgewachsen. Gil ist 21 Jahre alt und kommt ganz klar aus München. Foto: © Lydia Bergida.
Ron (links) ist 25 Jahre alt. Er wurde zwar in Augsburg geboren, ist aber in München aufgewachsen. Gil ist 21 Jahre alt und kommt ganz klar aus München. Foto: © Lydia Bergida.

Sie bringen die Lockerheit mit, die für die Wiesn prädestiniert. Das sind zwei, die es mit Leichtigkeit schaffen, sich mit Ende jeder Wiesn ein Stück Wiesn-Feeling rüber zu retten in den Rest des Jahres, bis dann halt wieder Wiesn ist. Davon ist man überzeugt. Zwei erwachsen gewordene Brüder, der Ron und der Gil, deren – so ist das eben, wenn die Kindheit vorbei ist – kleiner Altersunterschied zu schmelzen beginnt. Und trotzdem ist da was geblieben. Der eine ist der große, der andere der kleine Bruder. Beide haben keine Lust darauf, Probleme zu sehen, wo es für sie keine gibt. Das hat Wichtigkeit für die „Zustandsbeschreibung“ der jüdischen Community, zu der eben auch die ganz Jungen, die der sogenannten dritten, vierten… Generation gehören. „Vielleicht gibt es da ältere Menschen, die mit dem Oktoberfest aus irgendwelchen Gründen Probleme haben“, sagt Ron, „wir haben es nicht“. Die zwei Brüder möchten frei und froh sein und sind es auch. Schade, dass wir die Zwillingsschwester nicht mit aufs Foto bekommen haben. Die macht gerade ihren Militärdienst in Israel. Wer von den beiden Jungs ein Zwilling ist, verraten wir nicht.

Der Ron

Bis ich mir meine erste eigene Lederhose angeschafft habe, das hat gedauert. Ich war zu geizig dafür. Außerdem hatte ich das große Glück, mit einem befreundet zu sein, der zwei von denen besessen hat. Also konnte ich mir immer eine leihen. Dann ist der aber weggezogen und ich hab gedacht, „also, jetzt bist du 24, 25, da kann man sich dann schon mal eine eigene Lederhose leisten“. Und das sollte dann auch was Gescheites sein, und nichts aus Plastik. Eine, die ihr Geld wert ist. Und dann gehst du in so ein Trachtengeschäft und bis überwältigt von der Auswahl. Dass ich da meine Freundin dabei hatte, war jedenfalls kein Fehler.
Eine Lederhose muss gebraucht aussehen, und ich habe mir da auch alle Mühe gegeben, sie einzuweihen. Mit allem, was dazu gehört. Eine Serviette muss nicht unbedingt sein beim Hendlessen, und die Maß Bier kann schon auch auf dem Oberschenkel platziert und balanciert werden. Eher entspannt mit dem Benehmen bei Tisch umzugehen, das ist schon ein wichtiger Punkt, wenn man eine Lederhose mit Vergangenheit haben will.
Ob jemand aus der jüdischen Community Vorbehalte hat gegenüber der Wiesn, ist, denke ich, eine Generationenfrage. Leute meines Alters haben damit jedenfalls überhaupt kein Problem. Ich kenne da niemanden mit Aversionen. Im Gegenteil. In der Regel sind wir da doch sehr fleißig mit dabei. Zu uns Jungen, die wir in München groß geworden sind, gehört das Oktoberfest fast so dazu wie unsere Jüdischkeit.

Was ich gar nicht mag auf der Wiesn, ist das Anstehen vor den Zelten und das Hoffen darauf, dass sich irgendwas tut. Umso schöner ist es dann natürlich, wenn‘s wie am Schnürchen läuft. Wenn man einfach so ins Zelt marschiert und auch gleich einen freien Platz kriegt. Dann gibt es erst mal das erste halbe Hendl und die erste Maß. Die muss sitzen. Und irgendwann tanzt man auf den Tischen. Manchmal treffe ich auch rein zufällig meinen Bruder Gil. Meistens in passablem Zustand. Noch würd ich sagen, dass ich der Trinkfestere bin. Aber sowas kann sich schnell ändern. Einige schaffe ich schon und irgendwann ist dann eben Schluss… Und mei…, das mit den jüdischen Feiertagen ist halt schon ein bisschen blöd. Aber selten hat uns das ja die gesamte Wiesn verhagelt. Was man einhalten muss, halte ich ein, was nicht, nicht. Um 11 machen die Zelte jedenfalls dicht und dann begibt man sich auf den verlängerten Heimweg. Dass der verlängert ist, dahinter können sich mehrere Gründe verbergen.

Der Gil

Meine Lederhose ist schon ein bisschen älter. Vier oder fünf Jahre wird die sein. Meine Mutter war da noch dabei, als wir die gekauft haben. Deshalb durfte sie auch ein bisschen teurer ausfallen. Die ist ziemlich echt. Dass sie nach all der Zeit immer noch so neu aussieht, verstehe ich selbst nicht so richtig. Ich geh mit der nämlich nicht wirklich gut um. Und was ich grade festgestellt habe…, so oben um den Bund herum wird die schon ein bisschen eng. Haferlschuhe habe ich auch mal besessen, aber letztes Jahr sind die mir leider kaputt gegangen. Darum muss ich mich noch kümmern bis 2021.

Obwohl wir nicht zusammen losziehen, kann es schon sein, dass ich irgendwo mal meinen Bruder Ron treffe. Ist uns letztes Jahr passiert. Sein Zustand war da tatsächlich noch durchaus akzeptabel. Überhaupt denke ich, dass er noch ein bisschen trinkfester ist als ich. Das macht die Erfahrung. Einmal – daran erinnere ich mich noch ziemlich gut, auch weil das damals viral gegangen ist -, ist da so ein Mann komplett nackt über den Boden geschlittert. Der war sehr betrunken und sehr glücklich.
So pro Saison werden es drei-, viermal sein, dass ich auf die Wiesn gehe. Je nachdem, wie viel Geld ich habe. Die Eltern geben mir ein bisschen was, oder ich guck, was ich von der Arbeit noch übrig habe. Außerdem geht’s mir sowieso nicht darum, viel Geld auszugeben. Andererseits wird alles immer teurer. Und das Vorglühen darf man auch nicht unterschätzen. Erst Vorglühen und dann direkt ins Zelt. Und dann ins nächste und ins nächste… oder man bleibt gleich im ersten…

Die meisten Lieder kann ich nach ein, zwei Maß. Vielleicht nicht so hundert Prozent textsicher, aber es reicht. Draußen was fahren, mag ich gar nicht mehr so. Eher was schießen. Weil, ich bin schon ein sehr guter Schütze. Highlights meiner Schießkunst sind rote Plastikrosen oder Kuscheltiere. Die kann man dann gleich den Freundinnen schenken.

Ganz besonders ist natürlich auch immer der letzte Wiesn-Tag, die letzte Wiesn-Stunde, sind die letzten 20 Wiesn-Minuten. Wenn alle ihre Wunderkerzen anzünden, und man mit den Freunden auf den Tischen steht und ein bisschen melancholisch wird.


Fotoausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“

Lydia Bergida (Fotografien und Idee) und Katrin Diehl (Textarbeit)
Vom 15.9. bis 18.10. im Foyer des Jüdischen Museum München
Eintritt frei