Von Katrin Diehl
Wer hier lebt, hat Dirndl oder Lederhose im Schrank. Das kann gar nicht anders sein. Sonst wären wir wirklich irritiert von diesem Stück Bilderbuch-Bayern.Wir schlagen das Bilderbuch auf, blicken auf ein stattliches, herausgeputztes Bauernhaus, üppig mit Lüftlmalerei versehen. Öffnen hier und da Türchen, so dass sich hineinsehen lässt in die Bauernstuben, eine illustrer als die andere. Da huscht eine Katze. Da schlängelt sich eine Pflanze nach oben. Da könnt ein Bergsteigergast gut unterkommen. Da kam wohl die Magd zur Ruhe. Da ließe sich der Bürgermeister angemessen empfangen… Und da? Das wird die Küche sein mit einem großen Ofen, an dem sich mit schweren Eisentöpfen hantieren lässt überm Feuer, unten im Rohr lässt sich braten und alles zusammen gibt bullig warm, wenn auf den Bergen ringsum, den oberbayerischen, den tiroler, der Schnee meterhoch liegt. Und da am großen Tisch sitzen die Beiden (wie lange schon?), und alles beginnt zu erzählen. Alles hat Geschichte. Natürlich und vor allem auch – so neu sie noch ist – die kleine Synagoge. Mitten im Grün hat sie ihren Platz gefunden. Erstaunlich. Die Tür steht offen. Irgendjemand verwirklicht hier seine bayerischen Träume.
Der Ischo:
Dieses Jahr gibt es also keine Wiesn… Da müssen wir uns dann halt was einfallen lassen. Und es wird uns auch was einfallen. Da bin ich sicher. Platz zum Feiern haben wir ja hier auf dem Land im südlichsten Oberbayern mehr als genug. Im Haus und ums Haus herum. Dazu noch der Blick auf die Berge.
Trotzdem bleibt’s schad, dass die echte Wiesn ausfällt. Auf die sind wir natürlich immer gegangen, manchmal mit, manchmal ohne Kinder. Und war gerade Besuch aus dem Ausland da, haben wir den auch gleich mitgenommen und ihm alles gezeigt.
Die Ruth:
Manchmal ist mir der Trubel auf der Wiesn zu viel, zu laut… Außerdem fällt es mir schwer, so einfach auf Knopfdruck lustig zu sein. Deshalb gehen wir auch meistens auf die Mittagswiesn. Da ist es einfach noch viel ruhiger.
Dirndl besitze ich so zwei, drei. Und ich finde so ein Dirndl auch wirklich kleidsam. Und praktisch. Ich als Münchnerin bin natürlich mit dem Oktoberfest sehr vertraut. Als Kind haben wir in Neuhausen gewohnt. Und da sind wir dann zur Wiesn-Zeit einfach über die Hackerbrücke gepilgert. Das war für uns ganz normal. Das hat zum Jahr dazu gehört. Ich und meine Schwester haben das übrigens auch gemacht, ohne dass die Eltern davon gewusst haben. Die Eltern wollten das ja nicht unbedingt. Die hatten Angst, dass wir nicht genug lernen würden. Die ganz normalen Sorgen also. Dirndl trugen wir damals noch keine. Mein erstes Dirndl habe ich mir nach meiner Hochzeit gekauft.
Der Ischo:
Und da hat sie also so einen richtigen Bayern geheiratet. Und am Anfang hat meine Frau auch immer gesagt, dass ich nicht so Bayerisch reden solle. Und deshalb habe ich auch gedacht, dass sie vielleicht niemals ein Dirndl anziehen würde.
Die Ruth:
Ich wollte nicht, dass er so Bayerisch redet, bis er mir mal erzählt hat, dass er sogar auf Bayerisch träumt. Und dann habe ich verstanden: Das ist einfach seine Sprache. In der Sprache, in der man träumt, ist man heimisch. Er ist tief im Bayerischen verwurzelt. Das habe ich dann verstanden. Und das war auch wichtig für mich. Mich selbst würde ich als Münchnerin mit jüdisch-bayerischem Einschlag bezeichnen. Aufgefallen ist mir das, als ich mal in Frankfurt bei der ZWSt* angerufen und gesagt habe, „Grüß Gott, hier spricht Ruth … aus München“, und dann hat die Dame am anderen Ende gesagt, „das hätten Sie jetzt nicht dazu sagen brauchen, das hört man ja“. Und ich habe immer gedacht, dass ich schönstes Hochdeutsch spreche…
Der Ischo:
Für mich hat es etwas sehr Natürliches, eine Lederhose anzuziehen. Ich denk da gar nicht lang darüber nach. Und ich zieh die auch an, weil mir das Spaß macht. Ich muss damit nicht zeigen, dass ich dazu gehöre, und ich muss auch niemanden fragen, ob ich dazu gehören darf. Ich war ja schon immer da. Ich bin hier geboren und alles. Und wenn einer behauptet, ich würd nicht dazu gehören, dann sagt er damit doch mehr über sich aus als über mich. Und bayerisch sein und jüdisch sein…, das geht doch wunderbar zusammen.
Die Ruth:
Man muss ja keinen Schweinsbraten essen. Und von unseren Bekannten wissen auch viele, dass wir das nicht essen, und dann wird einfach etwas anderes für uns vorbereitet. Fisch oder so.
Der Ischo:
Ich bin ein waschechter Jude. Ich lebe das. Ich integriere das in mein Leben. Ich lebe meine jüdische Identität und muss keinem Rechenschaft darüber ablegen, und auch nicht, wenn ich meine Lederhose anziehe. Eine Lederhose macht keinen Nichtjuden aus mir.
Wenn ich auf die Wiesn gehe, hänge ich mir eben keinen Davidstern um. Ich will nicht provoziert werden. Im Hintergrund müssen wir ja immer vorsichtig sein. Wenn du irgendein jüdisches Symbol auf der Wiesn trägst, weißt du ganz genau, du wirst angepöbelt. Der Antisemitismus ist eingefleischt, und das nicht nur hier in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Schlendern wir über die Wiesn, gibt’s immer Steckerlfisch oder Hendl. Ich geh am liebsten ins Augustiner und trink da den „Edelstoff“. Fahren kann ich nichts. Weil’s mir schon beim Hingucken ganz schlecht wird.
Die Ruth:
Mir gefällt es einfach, dass zur Oktoberfest-Zeit so ganz verschiedene Menschen von überallher nach München kommen. Da ist man dann nur noch eine unter anderen. Und es herrscht so eine besondere Atmosphäre. Mir gefällt das. Überall Leute im Dirndl… Und ich auch im Dirndl… Alle sind locker drauf… Und meistens wird’s da ja auch nochmal so richtig warm… Der Altweibersommer halt…
Der Ischo:
Also, früher. Da haben wir oben an der Wiesn gewohnt. Und zu Jom Kippur* musst ich dann durch die ganze Wiesn durchgehen bis zur Reichenbach-Shil*. Das war schlimm. Man darf da ja nichts essen. Das ist ja ein Fasttag. Das war schlimm, bei all den Gerüchen und den Leut, die gute Sachen essen. Das habe ich jahrelang durchgemacht. Meine ganzen Sünden hab ich auf diesem Weg durch die Wiesn abgelegt… Meine ganzen Sünden…
*ZWSt: Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V.
*Jom Kippur: Versöhnungstag, höchster jüdischer Feiertag
*Reichenbach-Shil: Synagoge in der Reichenbachstraße
Fotoausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“
Lydia Bergida (Fotografien und Idee) und Katrin Diehl (Textarbeit)
Vom 15.9. bis 18.10. im Foyer des Jüdischen Museum München
Eintritt frei