Heidi unter Dattelpalmen: Niv Fridman über seine Fotoserie „Heidi“

In seiner Fotoserie setzt der israelische Künstler Niv Fridman Heidi in einer nahöstlichen Landschaft neu in Szene. Es entstehen Bilder von großer Symbolkraft. Fridman über das Projekt und seine Suche nach einem persönlichen „Heidiland“.
Junge Frau in Trachtenkostüm steht unter Palmen und hält ihren Arm vors Gesicht, um sich vor der grellen Sonne zu schützen.
Heidi © Niv Fridman, 2021

Meine Fotoserie ist von alten Postkarten aus dem „Heiligen Land“ und von alten „Heidi“-Illustrationen inspiriert. Auf den Fotografien ist Heidi an verschiedenen Orten in Israel zu sehen. Sie wurde von mir bewusst in einer ungewohnt nahöstlichen Umgebung aufgenommen. Die Bilder vereinen dadurch Vertrautes und Fremdes. Für mich ist Heidi eine Suchende. Als Sohn einer Familie mit polnischen Wurzeln, reflektiere ich in meinen Arbeiten das Hin- und Hergerissensein zwischen zwei Kulturen und Welten, zwischen einer starken Verbundenheit zum Land Israel und gleichzeitig dem engen Bezug zur europäischen Kultur.

Heidi wird in meinen Aufnahmen von der israelischen Tänzerin und Performance-Künstlerin Tamar Rosenzweig verkörpert, eine ehemalige Tänzerin des Batsheva Ensembles in Tel Aviv. Rosenzweig arbeitete mit einigen der wichtigsten Künstler und Choreographen Israels zusammen. Ihr feines Gespür für Bewegung, Körpersprache und Ikonografie verleiht diesen Bildern etwas Magisches. Einige der Fotos wurden in einem Feld von Dattelpalmen aufgenommen, die eines der berühmtesten Exportprodukte Israels sind. Die Palmen verweisen auch auf Tamars Namen, der auf Hebräisch „Dattel“ bedeutet.

Ich habe die Geschichte von Heidi zum ersten Mal als Kind in einer hebräischen Übersetzung gelesen. Als ich 2020 eingeladen wurde, an der Ausstellung mitzuwirken, las ich sie erneut und sah die Geschichte plötzlich aus einer ganz anderen Perspektive. Damals, als kleiner Junge, nahm ich die Erzählung als eine Geschichte wahr, die über ein kleines Waisenmädchen aus der schönen Schweiz berichtet; ein Land mit immergrünen Landschaften und gütigen Menschen. Heute erkenne ich die universellen Botschaften, die in dieser Geschichte verborgen sind. Es geht um weit mehr als nur um dekorative Landschaften und grüne Wiesen. Gerade für Leserinnen und Leser jüdischer Herkunft sind die Themen, die in „Heidi“ verhandelt werden, tief in der zionistischen Bildwelt verankert. „Das Land der Väter“ wird als das wiedergewonnene Paradies stilisiert. Diese Sichtweise veranlasste mich, mich intensiver mit historischen Postkarten aus dem frühen 20. Jahrhundert zu beschäftigen.

Ich suchte nach Bildmotiven europäischer Fotografinnen und Fotografen in der Israelischen Nationalbibliothek, die das „Heilige Land“, in dem ich aufgewachsen bin, auf eine romantische Art und Weise zeigen, die so ganz anders ist als die, in der ich heute lebe. All diese Ansichtskarten in Sepia und Schwarz-Weiß erinnerten mich an Heidi und ihre Heimatverbundenheit. Gleich den Landschaften auf den Postkarten ist auch Heidis Welt in den Bergen ein romantischer Ort der Unschuld mit großer Symbolkraft – ein Land, das noch nicht durch Modernisierung und Urbanisierung berührt wurde. Ich beschloss, eine Fotoserie zu machen, die sich durch eine unverwechselbare israelische Topografie auszeichnet, die aber atmosphärisch der Schweiz ähnelt; nicht vom Erscheinungsbild her, sondern von ihrer Bedeutung. Ich wählte Schauplätze und Landschaften, die die israelische Natur symbolisieren, wie etwa die Negev-Wüste oder die erwähnten Palmenfelder. So zeigte sich immer mehr, dass auch wir unser nahöstliches „Heidiland“ haben.

Ich machte mich dran Heidis Kleider zu entwerfen, die ich dann auch selbst nähte. Hierfür suchte ich nach alten „Heidi“-Abbildungen. Bald wurde mir klar, dass es keine typischen „Heidi“-Muster und „Heidi“-Farben gibt. So entschied ich mich, ein Kleid zu gestalten, das Merkmale von verschiedenen Bildern aufgriff, hauptsächlich von Bildern israelischer Ausgaben. Ich wurde auch von einer alten Postkarte inspiriert, die mir meine Großmutter einst schickte, als ich noch Kind war und sie die Schweizer Alpen besuchte. Auf ihr ist ein Junge und ein Mädchen abgebildet, die mich an den Geißenpeter und Heidi erinnerten.

„Heimweh“ begleitet Jüdinnen und Juden in der Diaspora durch die Jahrhunderte. Bis heute ist das Thema Bestandteil der israelischen Identität. Mich persönlich hat Heidis Sehnsucht nach einer Heimat tief berührt. Für mich bedeutet über „Heidi“ nachzudenken auch eine Brücke zu schlagen zwischen den Kulturen.

Text: Niv Fridman

Der Text ist für den Katalog zur Ausstellung „Heidi in Israel. Eine Spurensuche“ (Hannover 2021) entstanden. Aus dem Englischen übersetzt von Peter O. Büttner.

Die Arbeiten von Niv Fridman sind bis zum 16. Oktober im Rahmen der Ausstellung „Heidi in Israel. Eine Spurensuche“ im Jüdischen Museum München zu sehen.