Eliezer Halfin wird am 18. Juni 1948 in Riga, damals Sowjetunion, geboren. Seine Elten sind Überlebende der Schoa. Mutter Chaia hatte ihren ersten Mann in der Schoa verloren. Vater Eliyahu seine erste Frau und die gemeinsamen Kinder in deren ersten Lebensjahren; auch seine fünf Geschwister, seine Eltern und seine Großmutter waren ermordet worden. Eliyahu konnte fliehen und schloss sich dem Widerstand an. Als er sich in Tscheboksary von seiner zweiten Verletzung erholt, lernt er Chaia als junge Witwe kennen. Die beiden heiraten und ziehen nach Riga, wo Eliayahu nach 1945 als Fotograf arbeitet und Chaia Taschen aus Leder näht. 1947 kommt ihre Tochter Rima zur Welt, ein Jahr später Sohn Eliezer. Beide haben zeitlebens ein enges Verhältnis. Eliezer macht in Riga eine Ausbildung zum Mechaniker und vertreibt Nähmaschinen; seine Schwester wird Fotografin und arbeitet mit Vater Eliayahu zusammen. Von ihren traumatischen Erlebnissen, während der Schoa erzählen ihnen die Eltern nichts.
Eliezer ist von klein auf sportbegeistert und versucht sich in verschiedenen Disziplinen. Nach einer Handverletzung im Alter von 15 Jahren konzentriert er sich auf das Ringen im Freistil. Er ist bald erfolgreich bei Wettbewerben und engagiert sich als Assistenztrainer und Schiedsrichter.
Die Familie Halfin entscheidet sich 1963 Verwandten nach Israel zu folgen und beantragt ein Ausreisevisum. Doch die restriktiven Ausreisebestimmungen der Sowjetunion ermöglichen ihnen die Emigration erst 1969. Nach zweimonatiger Reisevorbereitung gelangen sie es über Moskau und Wien nach Israel. Hier absolvieren sie den verpflichtenden Hebräisch-Kurs im Kibbuz Shefayim.
Im nahen nationalen Wingate Sportleistungszentrum kann Eliezer Halfin sein Training fortsetzen. Sein Trainer ist Moshe Weinberg, genannt Muni, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet. Eliezer Halfin tritt bald seinen Pflichtwehrdienst an, während dem er weiter trainieren und zu internationalen Wettbewerben fahren kann. Er ist von 1969-1972 israelischer Meister im Freistilringen in der Gewichtsklasse Leichtfliegengewicht. Dazu kommen internationale Erfolge bei Wettbewerben in Bulgarien, Rumänien und Griechenland.
1972 erhält Halfin die israelische Staatsangehörigkeit und qualifiziert sich für das israelische Team der Olympischen Sommerspiele in München 1972. Damit geht für ihn ein Lebenstraum in Erfüllung, auf den er sich mit einem eigenständig zusammengestellten Leistungsplan vorbereitet. Er lebt inzwischen in Tel Aviv, ist zum ersten Mal Onkel, arbeitet als Mechaniker, engagiert sich als Freiwilliger und als Ringer im Sportverein Hapoel Tel Aviv. Laut Rima hätte ihr Bruder Eliezer in allem sein Bestes gegeben und sich um alle anderen gekümmert. Seiner langjährigen Partnerin Sima macht er noch vor der Abreise zu den Olympischen Spielen im August 1972 einen Heiratsantrag.
In München bestreitet Halfin vom 27.-29. August 1972 drei Ringkämpfe, von denen er nur einen für sich entscheiden kann und ausscheidet. Dennoch bleibt er bei seinen Teamkollegen im Olympischen Dorf.
Nach der Geiselnahme in den frühen Morgenstunden des 5. September 1972, wird er bei dem gescheiterten Befreiungsversuch am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck erschossen. Seine Familie verfolgt die Geiselnahme durch das Radio und geht nach der Falschmeldung über die Rettung aller Geiseln zu Bett. Am nächsten Morgen müssen sie ebenfalls über das Radio von Eliezers Tod erfahren. Daraufhin fahren sie zum Flughafen, um seine Leiche zu empfangen und am Friedhof Kiryat Shaul in Tel Aviv neben den mit Eliezer Halfin ermordeten Teamkollegen Andrei Spitzer, Mark Slavin, Kehat Schor und Amitzur Shapira beizusetzen.
39 Jahre später finden die Angehörigen eines deutschen Polizisten, der 1972 am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck Dienst hatte, in dessen Nachlass den Athletenausweis Eliezer Halfins und geben ihn zurück. Schwester Rima nimmt ihn 2011 in Empfang. Er bedeutet ihr viel, denn sie hat nur wenige Erinnerungsstücke ihres viel zu früh aus dem Leben gerissenen Bruders.
Text: Angela Libal; Recherche: Piritta Kleiner, Kuratorin des Erinnerungsortes Olympia-Attentat München 1972, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus
ZWÖLF MONATE – ZWÖLF NAMEN
50 Jahre Olympia-Attentat München
50 Jahre nach den Olympischen Spielen in München soll 2022 ganzjährig an das Olympia-Attentat am 5.-6. September 1972 erinnert werden. Jeden Monat steht dabei ein Opfer im Mittelpunkt des Gedenkens. Es sind verschiedene Interventionen im öffentlichen Raum geplant, von Installationen, die den ganzen Monat über zu sehen sein werden, bis hin zu eintägigen Aktionen.
Konzipiert und koordiniert wird das Erinnerungsprojekt vom Jüdischen Museum München und vom NS-Dokumentationszentrum München in Zusammenarbeit mit dem Generalkonsulat des Staates Israel. Die Umsetzung wird mit Kooperationspartnern wie dem Landkreis Fürstenfeldbruck, dem Deutschen Theater, der Polizeihochschule Fürstenfeldbruck und dem Polizeipräsidium München sowie weiteren Kultur- und Bildungseinrichtungen und anderen Interessierten erfolgen.
Mai
Der Landkreis Fürstenfeldbruck erinnert im Mai an den Freistil-Ringer Eliezer Halfin. Als Ergänzung zur Ausstellung „5. September 1972 – Das Ende der Heiteren Spiele von München“ wird im Landratsamt Fürstenfeldbruck über das Leben von Eliezer Halfin als Privatmensch und als Sportler informiert. Es werden gemeinsam mit dem Historischen Verein e.V. für die Stadt und den Landkreis Fürstenfeldbruck Rundgänge durch die Ausstellung angeboten.