Therese Giehse und Wir

Einige mögen sich noch an ihre Darstellung der Großmutter in den „Münchner Geschichten“ erinnern, anderen ist sie als historische Figur ein vager Begriff, wieder andere wissen nur, dass eine Straße in München nach ihr benannt ist, manche haben noch nie von ihr gehört. Die Rede ist von Therese Giehse. In unserem Podcast fragen wir: Wer war diese einzigartige Frau?
Podcast-Cover: Zeichnung Therese Giehse als ältere Frau und als junge Frau in einem Rahmen. Beide schauen uns an. Darunter Schrift: „Therese Giehse und Wir. Podcast“
Podcast-Cover, Illustration: © Inga Kulik

Von Viktoria Lewowsky und Tatjana Schoeler

Therese Giehse war eine außergewöhnliche Schauspielerin und Münchnerin mit Herz und Seele. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft war sie gezwungen vor den Nationalsozialisten zu fliehen, obwohl Hitler und seine Entourage sie auf der Bühne feierten. 1933 verließ sie München mit nur einem Koffer und verbrachte viele Jahre im Exil. Später kehrte sie der Arbeit wegen nach München zurück, in die Stadt, mit der sie so viel verband, und wurde gefeiert, geehrt und bewundert.

Wie alles begann…

Es ist der 6. März 1898, ein Sonntag: um 7:30 morgens kommt Therese in München in der Herzog-Rudolf-Straße zur Welt. Im gleichen Jahr, nur einige Wochen zuvor, wird Bertolt Brecht, ein späterer Weggefährte, in Augsburg geboren. Therese ist das 5. Kind der Familie Gift und damals hätte keiner auch nur ahnen können, wohin ihr Weg führen wird.

Der Weg zum Theater ist ein steiniger. Nachdem ihr Umfeld ihr unisono zu verstehen gibt nicht dem gängigen Schönheitsideal für Schauspielerinnen zu entsprechen, entgegnet sie mit Entschlossenheit:

Ich will nicht schön sein, ich will nur zum Theater.

Therese Giehse

Um 1918-1920 Schauspielunterricht nehmen zu können, arbeitet sie in einer Kohlenkartenstelle. Ähnlich wie Lebensmittel wurden Kohlen als Heizmittel auf die Bevölkerung aufgeteilt.

1920 nimmt sie den Künstlernamen Therese Giehse an, da er wohlklingender ist als ihr Geburtsname Gift. Bis 1925 folgen Engagements an verschiedenen Provinztheatern in ganz Deutschland und ein festes Engagement an den Kammerspielen unter Otto Falckenberg, wo sie zu einer festen Größe wird und den Ensemble-Gedanken mitprägt. Sie wird bekannt für die Darstellung starker Charakterrollen und verkörpert bereits sehr jung ältere Frauen auf der Bühne.

In dieser Zeit lernt Therese den Schriftsteller Thomas Mann und dessen Kinder Erika und Klaus kennen. Gemeinsam mit Erika und Klaus Mann gründet sie am 1. Januar 1933 das literarische Kabarett „Die Pfeffermühle“. Erika Mann und Therese Giehse sind neben der Arbeit auch privat eng verbandelt und es gibt Anhaltspunkte, dass die beiden eine romantische Liebesbeziehung pflegen.

Die jüdische Herkunft und ihr politischer Aktivismus in „Die Pfeffermühle“ veranlassen Therese Deutschland am 13. März 1933 mit nur einem Koffer in der Hand unmittelbar nach einer Theaterprobe zu verlassen. Es folgen 13 Jahre Exil.

Schwarz-Weiß-Portrait: Therese Giehse sitzt in einem Gartenstuhl sie stützt sich auf dem Ellbogen auf und schaut nachdenklich zur Seite. Sie trägt einen hellen Herrenanzug mit Krawatte.
Porträt von Therese Giehse. Fotografie von Annemarie Schwarzenbach, 1933, Schweizerische Nationalbibliothek, SLA-Schwarzenbach-A-5-08/244, gemeinfrei

1941 spielt Therese Giehse in Zürich in der Uraufführung von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ die Mutter Courage. Es folgt eine Vielzahl tragender Rollen, beispielsweise die Nervenärztin Dr. Mathilde von Zahnd in Dürrenmatts „Die Physiker“. Dieser hat die Rolle des Nervenarztes extra über Nacht für Therese Giehse in eine Frauenrolleumgeschrieben, nachdem sie am Vorabend den Text gelesen hatte und entgegnete: „Den tät ich gern spielen.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet sie wieder in Deutschland. Ab 1949 auch wieder an den Kammerspielen in München. Auch führt sie selbst Regie und ist der Meinung, dass Frauen bessere Regisseure seien, da sie die „frecheren Augen“ besitzen.

Ja, sie ist ihrer Zeit weit voraus gewesen und vereint verschiedene Eigenschaften und sogar Identitäten. Sie war jüdisch, lesbisch, queer, emanzipiert, sie war Schauspielerin und Kabarettistin, ein Theaterstar ihrer Zeit – außerdem Aktivistin und Widerstandskämpferin, Geflüchtete und Münchnerin mit Herz und Seele. Auch wenn sie selbst Zuweisungen von außen stets ablehnte, lässt sich ihr Leben und Wirken aus heutiger Sicht so einordnen. Für uns ist sie ein Vorbild.

Podcast „Therese Giehse und Wir“

Beide Frauen halten Bücher in die Kamera und lächeln.
Tatjana Schoeler (l.) und Viktoria Lewowsky © privat

In unserer 9-teiligen Dokuserie, einem Podcast von Livestories in Koproduktion mit dem Jüdischen Museum München, begeben wir uns auf eine Spurensuche in die verschiedenen Lebensphasen der Therese Giehse und ziehen Parallelen ins Heute.

Bis heute ist Therese Giehse eine Inspirationsquelle für Freiheit, Kreativität, Selbstbestimmtheit, Durchsetzungskraft und Mut. Ihr Wirken zeigt uns neue Perspektiven auf, auf uns selbst und die Welt um uns herum und kann als Bereicherung für aktuelle Diskurse gesehen werden.

In unserem Podcast begegnen wir ganz unterschiedlichen Interviewpartner*innen: Mit Michaela May und Günther Maria Halmer tauchen wir ein in die Welt des Films, Wolfgang Krebs teilt mit uns Gedanken über Humor, Kabarett, Grenzen und Möglichkeiten von Humor in der NS-Zeit, Gunna Wendt beleuchtet die Liebesbeziehung zwischen Erika Mann und Therese Giehse und mit Ulrike Heikaus vom Jüdischen Museum München blicken wir auf jüdisches Leben in München zu Therese Giehses Lebzeiten. Darüber, was junge Jüdinnen und Juden heute bewegt, haben wir u.a. mit den Aktivist*innen Hanna Veiler und Margaryta Paliy, der queeren Rabbinerin Helene Braun, dem angehenden Comedian Natan Bilga und der Schauspielerin Elina Schkolnik besprochen. Sylvia Schütz vom Literaturarchiv Monacensia berichtet über das politische Kabarett „Die Pfeffermühle“ und Therese Giehses Leben in der Emigration. Der Brecht-Experte Prof. Hillesheim erzählt uns von der Arbeitsbeziehung zwischen Bertolt Brecht und Therese Giehse. Bastian Trost, Performer der Gruppe „Gob Squad“ und Teil der Act-Out-Bewegung, teilt mit uns Gedanken über sein Coming-Out und die Konsequenzen für seine Schauspielkarriere. Monika Oschek und Andrea Schneider von der Initiative „Alle Körper im Blick“ bringen uns zum Nachdenken über limitierte und diskriminierende Schönheitsideale in der Medienlandschaft und gemeinsam mit der Autorin und Dramaturgin Theresa Seraphin widmen wir uns der Frage nach geschlechtlicher Identität und Repräsentation, speziell über queeres Leben in der Jüdischen Community sprechen wir mit Keshet e.V.

Eine neue Folge des Podcasts erscheint immer donnerstags auf Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt!