Judn ohne Wiesn: Valeriya

»Alles, was in der Höhe ist und sich schnell dreht, das ist mein Ding.«
Valeriya wurde 1991 in Charkiw in der Ukraine geboren. Seit 2003 lebt sie in München. Foto: © Lydia Bergida.
Valeriya wurde 1991 in Charkiw in der Ukraine geboren. Seit 2003 lebt sie in München. Foto: © Lydia Bergida.

Endlich treffen wir mal jemanden, dem es nicht wahnsinnig genug zugehen kann, was die Fahrgeschäfte anbelangt. Bisher hatten wir diese Menschen immer nur von weitem gesehen, irgendwo am Himmel, bevor sie sich schreiend in die Tiefe stürzten, nicht ohne sich dabei noch einmal kurz vor Schluss um die eigene Achse zu drehen. Valeriya braucht das. Braucht das nicht wirklich, denn auch am Boden und ohne irgendwelche Stimulanzien ist sie äußerst gut gelaunt und quicklebendig. Sprachlich mag sie’s ironisch, stellt erst im nächsten oder übernächsten Satz klar, wie sie es wirklich gemeint hat und lehrt das genaue Zuhören. Für sich selbst hat Valeriya ein gutes Maß gefunden, mit dem eigenen Jüdisch-sein umzugehen. Hauptsache selbstbestimmt. Und wenn wir irgendwo eine Frau sehen, die genau dasselbe Dirndl trägt wie sie, wissen wir jetzt, wer das ist.

Die Valeriya

Ich war immerhin schon zwölf Jahre alt, als wir die Ukraine verlassen haben und nach München gegangen sind. Trotzdem weiß ich überhaupt nicht mehr, wie das für mich gewesen ist, mit dieser bayerischen Kultur, den Dirndl, den Lederhosen, dem vielen Bier konfrontiert worden zu sein. Ich glaube, dass mir das von Anfang an irgendwie total normal vorgekommen ist. Das ist eigentlich seltsam. Wenn es in der Schule hieß, „nach der letzten Stunde geht’s auf die Wiesn“, dann sind die Mädels auch immer schon im Dirndl in den Unterricht gekommen. Das fand ich besonders. Denke ich an meine erste Wiesn, hab ich den Geschmack von gebrannten Mandeln auf der Zunge. Die gab’s da nämlich.

Ich besitze kein Dirndl. Dafür besitze ich eine Tante, die gleich zwei davon hat und zudem noch genau meine Figur! Und da leihe ich mir einfach immer eins. Ja, Leute. Ich lebe seit x Jahren in München und besitze noch immer kein eigenes Dirndl! Oh, mein Gott! Oh, mein Gott! Bin ich vielleicht schlecht integriert?! Schmarrn. Es gab für mich bisher einfach noch nicht die Notwendigkeit, eines zu kaufen, weil ich eben diese praktische Tante habe. Das ist alles. Und jetzt kommt noch was… Haltet euch fest: Ich geh der Wiesn-Zeit manchmal aus dem Weg und fühl mich trotzdem integriert, weil es nämlich jeder zweite Münchner ganz genauso macht. Ich bin also im Grunde sowas von integriert. Ist ja auch eine Spezialität von uns Jüdinnen und Juden. Wir sind echt gut darin, andere Bräuche zu übernehmen. Warum auch nicht, wenn es was Schönes ist? Und das verschafft uns dann bestenfalls sogar so etwas wie Heimatgefühl.

Die Wiesn, das ist eigentlich schon eine recht schöne Tradition, aber sie verwandelt die Stadt eben auch in eine Müllhalde. Und das nagt dann an dem perfekten Bild, das ich von München habe. Etwas, was ich nur sehr ungern zulasse. 

Gehe ich auf die Wiesn, dann mache ich das am liebsten unter der Woche und tagsüber. Da ist nicht so viel los und es gibt weniger Betrunkene. Denn, was ich wirklich sehr liebe, das sind Fahrgeschäfte. Ich suche mir da die verrücktesten Sachen aus. Dieser Top Spin da zum Beispiel. Da hängt man kopfüber, dreht sich um die eigene Achse und wird dabei auch noch mit Wasser bespritzt. Und das Kettenkarussell! Das hohe natürlich! Schlecht wird mir dabei nie. Nie, nie, nie. Mir gibt das den nötigen Adrenalinkick. Alles, was in der Höhe ist und sich schnell dreht, das ist mein Ding. 

Meinen kleinen Davidstern-Kettenanhänger ziehe ich ganz gerne zur Wiesn an. Ich mache das im normalen Alltag sonst nicht so, weil ich finde, dass das meine Privatangelegenheit ist, aber zu meinem Wiesn-Outfit passt der einfach ganz gut und er fällt auch nicht weiter auf. 

Dieses Jahr gibt‘s keine Wiesn! Ach. Als eine Tragödie würde ich das jetzt nicht unbedingt bezeichnen. 

Fotoausstellung „Judn ohne Wiesn. Begegnungen mit Münchnerinnen und Münchnern in Tracht“
Lydia Bergida (Fotografien und Idee) und Katrin Diehl (Textarbeit)
Vom 15.9. bis 18.10. im Foyer des Jüdischen Museum München
Eintritt frei