Peter Demetz blickt auf ein Jahrhundertleben: Geboren 1922 in Prag in der tschechoslowakischen Republik, Einmarsch der Nationalsozialisten, Zwangsarbeit, seine jüdische Mutter wurde im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet, 1949 Flucht vor dem kommunistischen Regime, 1952 ging er nach New York, promovierte dort erneut und wurde Professor an der Yale Universität. Leser_innen in Deutschland ist Peter Demetz auch als Literaturkritiker in der ZEIT und FAZ bekannt.
Zu seinem 100. Geburtstag ist ein Band mit seinen Rezensionen und essayistischen Texten aus den Jahren 1960 bis 2010 erschienen (Was wir wiederlesen wollen, Peter Demetz, 2022). Zu lesen sind 62 seiner 300 Beiträge, die in der ZEIT und der FAZ erschienen sind. Die Texte aus den 80ern erkenne ich sofort wieder. Mein damaliger Deutschlehrer war ein großer Fan von ihm und gab jede seiner FAZ-Kritiken an uns weiter.
Wenig bekannt sind Peter Demetz Münchner Jahre. Nach der Flucht aus Prag gelangten er und seine spätere Frau Hanna als Flüchtlinge in die Luitpold-Kaserne in München, wo sie die Alliierten im November 1949 als displaced person (DP) erfassten. Demetz kam aufgrund seiner guten Englischkenntnisse nach kurzer Zeit als Lehrer in ein DP-Kindercamp nach Bad Aibling, das von der internationalen Hilfsorganisation IRO (International Refugee Organization) unterhalten wurde. Er unterrichtete dort die ehemals rassisch und politisch verfolgten Waisenkinder. Ende 1950 nahm dann er als einer der ersten Redakteure des amerikanischen Senders Radio Free Europe seine Arbeit auf. In der tschechischen Redaktion erstellte er eine täglich Literatursendung mit Lyrik und Musik.
In einem eindrücklichen Interview mit dem Münchner Stadtmuseum aus dem Jahr 2021 beschreibt er seine Arbeit:
Die ersten Themen waren die Themen, die vom Heimatrundfunk aufgeworfen wurden. Wir waren ja zum Teil auch eine polemische Station. Wir hatten darauf zu antworten, was in Prag in die Welt trompetet wurde. Wir hatten eine Gegentrompete zu besorgen. Ich musste dauernd achtgeben, was in Prag gesagt wurde, wer in Prag gefeiert wurde, um dann eine Antwort parat zu haben. … Die Radiosendungen führten ja dazu, dass später eine ganze Gruppe junger Leute, darunter ich, uns abwandten, weil wir den Rahmen zu eng fanden und lieber studieren fuhren nach Amerika und Frankreich und anderswohin, weil wir mehr vom Leben wollten als auf Prager Sendungen zu konzentrieren und darauf zu antworten, was die Redaktion dort für gut befand.
Peter Demetz, 2021
Peter und Hanna Demetz beschlossen im November 1952 nach New York auszuwandern. Dort publizierte er eine der ersten tschechischen Anthologien: Neviditelný domov. Verše exulantú. 1948-1953 (Tschechisch: Die unsichtbare Heimat. Verse von Exilanten. 1948-1953), mit Lyrik, die er in München als Redakteur für Radio Free Europe recherchiert hatte. Mit dieser Zusammenstellung lieferte er einen bedeutenden Beitrag zum Kultur- und Literaturtransfer über den Eisernen Vorhang hinweg. Nach einem schwierigen Anfang in New York nahm er sein Studium wieder auf, promovierte erneut und wurde schließlich Professor für Deutsche und Vergleichende Literatur an der Yale Universität.
Wir wünschen Ihnen aus München viel Glück und Gesundheit zu Ihrem Geburtstag!
Das Münchner Stadtmuseum zeigt in der Galerie Einwand die Ausstellung „Radio Free Europe – Stimmen aus München im Kalten Krieg“. Es werden fünf Biografien beleuchtet, das Modul zu dem Literaturwissenschaftler Peter Demetz ist im Jüdischen Museum München zu sehen.