Reisefieber (03): Kibbuz in Warschau

Auf in den Sommer. Die Ferien liegen vor uns und allgemein beginnt das wilde Packen, Reiseliteratur wälzen, Sonnencreme einkaufen. Passend zum Reisefieber finden Sie in der Wechselausstellung „Jüdisches Europa heute. Eine Erkundung“, die von Studierenden des Instituts für Volkskunde/Europäische Ethnologie erarbeitet wurde, noch interessante Einblicke zu jüdischer Kultur und Lebenswelten in sieben Orten in Europa. Drei von ihnen werden in den folgenden drei Blogbeiträgen von einer der Studierenden noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Die Reise beginnt in London.
Holzhaus im Dickicht
Das Häuschen des Kibbuz in Warschau, 2014. Foto: Anne Reis

Im Rahmen des 11. Singer- Festivals im vergangenen Sommer 2014 veranstaltete der Kibbuz Warschau ein familiäres Picknick mit koscheren Speisen, einem Poetik-Workshop sowie einem Live Auftritt einer Klezmerband und lud somit aktiv zum Kontakte knüpfen ein.

Ein Jahr zuvor stellte die Stadt Warschau bereits Holzgartenhäuser für acht Nicht-Regierungsorganisationen für die Sommerzeit auf dem Gelände der Warschauer Siedlung Jazdów zur Verfügung. Darunter auch ZOOM, die dort sich dort einen Kibbuz einrichteten. Seit dem gibt es im Kibbuz Warschau jedes Jahr eine Tischlerwerkstatt sowie die Möglichkeit Pflanzenanbau zu erlernen. Im Vordergrund steht die gemeinsame Arbeit und die Nähe zur Natur, die in der Warschauer Siedlung gegeben ist. Der Kibbuz wird als eine Inspiration aufgefasst, als Ort an dem sich junge Juden treffen können und gemeinsam Zeit verbringen können.

Das Projekt soll an das ehemalige Kibbuz vor dem Krieg im Warschauer Stadtteil Grochów erinnern. Hierbei handelte es sich um einen Ort, an dem die jüdischen Stadtbewohnerinnen und -bewohner handwerkliche sowie landwirtschaftliche Berufe erlernt haben. So bereiteten sie sich auf die Emigration nach Palästina vor. Mehr über die Geschichte des Kibbuz in Grochów hier.

Mehrere Personen stehen im Grünen um einen Tisch mit Getränken. Über ihnen: bunte Lampions
Picknick in Warschaus Kibbuz in der Jazdów-Siedlung, 2014. Foto: Ania Szmigiel

Das Projekt von ZOOM unterscheidet sich in einem Punkt ganz besonders von einem herkömmlichen Kibbuz. In der Siedlung Jazdów wird lediglich das Leben in einer Gemeinschaft nachempfunden. Weder wohnen die Teilnehmenden dort, noch bereiten sie sich auf die Emigration nach Israel vor. Ihr Motto lautet stattdessen: „Wir bereiten uns auf das Leben in der Stadt vor“. Nicht nur Jüdinnen und Juden sind in den Kibbuz eingeladen – es werden Gartenworkshops angeboten, bei denen alle Warschauerinnen und Warschauer auf dem Gelände des Kibbuzgartens ihr Gemüse anbauen oder auch Kästen mit Kräutern aufbewahren können. Es sollen Räume geschaffen werden, in denen sich die Teilnehmenden austauschen und voneinander lernen können. Auch jüdische Feiertage wurden schon in der kleinen Holzhütte gefeiert, wie z.B. Sukkot, das Laubhüttenfest.

Im Jahr 2007 ging die Polnische Vereinigung jüdischer Studierender in die Polnisch-Jüdische Jugendorganisation ZOOM auf, um ein breites Publikum an jungen Menschen anzusprechen. Ihr Ziel ist es, junge Jüdinnen und Juden durch Seminare, Ausflüge, Treffen sowie durch die Verbreitung und Zelebrierung jüdischer Tradition und Geschichte, zu integrieren. Mittlerweile zählt die Organisation ca. 400 Mitglieder in ganz Polen, vorrangig jedoch in Warschau, wo sich auch ihr Sitz befindet. Auf Facebook hat ZOOM mittlerweile schon über 800 Freunde. 1800 Nutzerinnen und Nutzern gefällt das Kibbuz Warschau. Dies ist ein Indikator für eine Entwicklung, die seit einigen Jahren zu beobachten ist: Immer mehr junge Menschen in Polen beschäftigen sich mit jüdischer Kultur und Geschichte, forschen nach den familiären Wurzeln oder entdecken das Judentum für sich – oft nicht nur als Religion sondern auch als Teil einer identitätsstiftenden Kultur. Auch die zahlreichen Festivals jüdischer Kultur bieten Menschen die Möglichkeit, sich auf jüdisches Leben zu beziehen und sich öffentlich zu präsentieren.

Ausstellungsansicht. Tisch mit Stühlen. Auf der Tischplatte ein Ausstellungstext mit der Überschrift "Eine Straße wird zur Bühne"
Installation „Warszawa Festival“ im Jüdischen Museum München 2015. Foto: Franz Kimmel

Wenn Sie es dieses Jahr nicht schaffen, eines der 40 Festivals jüdischer Kultur in Polen zu besuchen, dann schauen Sie sich unsere Ausstellung an. Zwei Studentinnen der LMU München waren in Warschau, um für Sie Impressionen von dem Singer-Festival einzufangen.

Oder wollen Sie doch lieber etwas über das junge, hippe Viertel in Budapests Elisabethstadt erfahren? Machen auch Sie sich auf die Reise und entdecken Sie Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede jüdischer Lebenswelten und lernen Sie sieben verschiedene Städte Europas aus einer besonderen Perspektive kennen.

Text: Anne Reis

Mehr zur Ausstellung „Jüdisches Europa heute. Eine Erkundung“ in unserem Ausstellungsarchiv