Tante Olgas Silberleuchter. Eine Münchner Familiengeschichte

In unserer aktuellen Studienraumausstellung wird das Schicksal der Münchnerin Olga Maier und ihrer Familie während der NS-Zeit erzählt. Im Zentrum der Ausstellung steht ein Paar Silberleuchter, das Olga Maier 1939 abgeben musste. Ihre Restitution durch das Bayerische Nationalmuseum brachte eine bewegende Familiengeschichte ans Licht.
Schwarz-Weiß-Gruppenfoto mit Brautpaar und Familie, circa 30 Personen
Hochzeit der Nichte Elisabeth mit Fritz Beer, 1920 (Olga Maier steht hinter dem Bräutigam), Foto: © Privatbesitz

Olga Maier lebte seit ihrer Geburt 1867 in der bayerischen Hauptstadt. Sie heiratete Moses Moritz Maier, der Lehrer für jüdische Religion in München war. Das Paar hatte keine Kinder, Olga pflegte jedoch ein sehr enges Verhältnis zu ihren vier Geschwistern, ihren Nichten und Neffen. Von ihren Verwandten wurde sie liebevoll Tante Olga genannt.

Olga traf sich oft mit der Familie ihres Bruders Benjamin Nussbaum, später Egozi, die wie sie in München lebte. Ihre drei Schwestern hatten geheiratet und waren nach Würzburg, Baden-Württemberg und ins Elsass gezogen. Benjamins Ehefrau Imogen beschreibt in ihrem Tagebuch liebevoll die Besuche bei Olga:

Dann besuchten wir einmal Tante Olga, zu der er [Sohn Raphael] Olli sagt. Es gefiel ihm dort sehr gut, besonders, dass in jedem Zimmer eine Uhr war, und nun erzählt er mir des Öfteren Olli tick-tack.

Tagebuch Imogen Nussbaum, 19.11.1932

Olgas Familie, so weitverstreut sie auch war, hielt engen Kontakt. Sie traf sich oft zu fröhlichen Anlässen wie Geburtstagen, Hochzeiten oder gemeinsamen Besuchen im Hofgarten-Café.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 veränderte jedoch rasch das Leben von Olga, ihren Geschwistern sowie deren Kindern. Olgas Bruder Benjamin, der als praktischer Arzt und Geburtenhelfer eine eigene Praxis in München betrieb, emigrierte Ende 1934 mit seiner Familie nach Palästina, wo die Familie den Namen Egozi annahm. Durch das Berufsverbot für jüdische Ärzte war ihm die Lebensgrundlage in Deutschland genommen worden. 1936 besucht Olga die Familie ihres Bruders in Palästina.

Schwarz-Weiß-Foto: Olga Maier steht neben einem Esel, auf dem ihre beiden Neffen sitzen. Im Hintergrund ein einfaches, einstöckiges Haus und Palmen.
Olga mit ihren Neffen beim Besuch in Palästina, 1936, Foto: © Privatbesitz

Zwischen 1938 und 1940 schaffte es die Mehrzahl von Olgas Verwandten noch rechtzeitig ins Ausland zu fliehen. Ihr selbst gelang dies nicht, sie blieb der antisemitischen NS-Politik weiterhin ausgesetzt. 1939 war sie gezwungen umzuziehen und lebte in beengten Verhältnissen mit einer fremden Familie in einer Wohnung in der Thierschstraße 8. Briefe blieben ihre einzige Verbindung zu ihrer Familie. Darin lässt sich nachvollziehen, wie sich die nunmehr Siebzigjährige Olga mehr und mehr zurückzog. So schrieb sie ihrer Nichte Leni Gumprich, die mit ihrer Familie nach Trinidad geflohen war, 1939:

So hübsch und ausführlich wie Ihr kann ich nun leider nicht berichten; denn das Leben einer alten Tante spielt sich meist in der Stille eines Wohnstübchens ab, in die von Zeit zu Zeit liebe Besuche etwas Abwechslung bringen. Da könnt Ihr Euch denken, daß Nachrichten ferner Lieben stets willkommene Boten sind; nur sollten sie nie traurig sein […]

Olga Maier an Leni Gumprich, 13.07.1939

1942 wurde Olga vom Barackenlager in der Knorrstraße aus zusammen mit 36 meist älteren Münchnerinnen und Münchnern nach Theresienstadt deportiert. Von dort wurde sie weiter ins Konzentrationslager Treblinka verschleppt und ermordet.

Olga Maiers Schicksal blieb in München vergessen bis 2019 zwei silberne Kerzenleuchter den Anstoß zur Erforschung ihrer Familiengeschichte gaben. Die beiden Leuchter hatte Olga 1939 als Zwangsabgabe an das Städtische Leihamt abgeben müssen. Von dort gelangten sie zusammen mit 290 weiteren Silberobjekten in die Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums. In den 1950er Jahren begann das Museum mit der Restitution dieser Objekte. Doch die Nachkommen Olga Maiers, die in der ganzen Welt verstreut lebten, konnten nicht ausfindig gemacht werden.

Zwei silberne Kerzenleuchter
Restituiertes Leuchterpaar von Olga Maier Foto: Ernst Jank, Münchner Stadtmuseum, © Sammlung Jüdisches Museum München

Erst 2021 gelang dies durch die Arbeit von Dr. Matthias Weniger, dem Provenienzbeauftragten des BNM. Er fand die Nachfahren der Familie in Israel, den USA und Deutschland. Sue Scane und Ruth Beer Bletzinger, Verwandte von Olga, schreiben dazu:

Durch die Restitution von Tante Olgas Kerzenleuchtern wurden Familienmitglieder, die über den ganzen Globus verstreut waren und von denen viele sich nie getroffen haben oder nicht einmal von der Existenz der anderen wussten, zusammengebracht.

Sue Scane und Ruth Beer Bletzinger

Im Mai 2022 wurde Olga Maiers Leuchterpaar in einer feierlichen Veranstaltung an die Erbengemeinschaft zurückgegeben. Darüber haben wir in diesem Blogbeitrag berichtet. Die Familie schenkte die Leuchter daraufhin dem Jüdischen Museum München, um so die Erinnerung an „Tante Olga“ aufrechtzuerhalten.

Wir danken der Familie, die auch die Recherche zur Ausstellung unterstützte und uns Einblick in die Korrespondenz und die Fotoalben der Familie gewährte. 

In der Ausstellung „Tante Olgas Silberleuchter. Eine Münchner Familiengeschichte“ können Besucher*innen bis zum 17.03.2023 mehr über Olga Maier und ihre Familie lernen. Themen wie Enteignung, Provenienzforschung und Restitution werden durch das Leuchterpaar erklärt. In der Ausstellung gibt es Texte in Leichter Sprache. Die Ausstellungsbroschüre gibt es hier zum Download.