Angela Bottin besuchte die Ausstellung. Sie ist Beirätin der Weiße Rose Stiftung und arbeitet an einem Buch über den Unterstützer der Weißen Rose, Hans Leipelt und seine Schwester Maria. Bogenhausen spielt eine wichtige Rolle in ihren Recherchen zur Nachkriegszeit. Sie schrieb uns:
Am 24. November 2023 hatte ich die Gelegenheit, die Ausstellung „Displaced Persons. Der Rest der Geretteten“ im Jüdischen Museum München anzusehen. Tags zuvor war ich auf den Spuren von Maria Leipelt (1925 – 2008) durch die Möhlstraße gegangen, in die Siebertstraße eingebogen und bei ihrer Einmündung in die Maria-Theresia-Straße stehengeblieben: links von mir betrachtete ich das „Hildebrandhaus“, die heutige Monacensia, mit der Adresse Maria-Theresia-Straße 23; rechts von mir fiel mein Blick auf die Villa mit der Adresse Siebertstraße 3. Ich wusste aufgrund meiner langjährigen Nachforschungen zur Familiengeschichte Leipelt, dass Maria für die Hilfsorganisation „American Jewish Joint Distribution Committee“ (JOINT) mit Sitz in der Siebertstraße gearbeitet hatte. Nach ihrer Befreiung aus langer politischer Haft zuletzt im Gefängnis Bayreuth-St. Georgen am 14. April 1945 wurde sie noch in Bayreuth von der amerikanischen Militärregierung angestellt und war zunächst – nun selbst in amerikanischer Uniform – für die Hilfsorganisation UNRRA tätig. Viele ihrer Angehörigen waren Opfer des Holocaust geworden. Ihr Bruder, der Chemiestudent Hans Konrad Leipelt, war am 29. Januar 1945 im Gefängnis München-Stadelheim für seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus ermordet worden. Nun setzte sich Maria, die einzige Überlebende ihrer Familie, für Displaced Persons ein, während sie selbst sehnlichst auf eine Möglichkeit hoffte, Deutschland verlassen zu können.
Wieder einmal suchte ich Orte in München auf, die eine biografische Bedeutung für Hans und Maria Leipelt gehabt hatten. Das brachte mich an diesem Novembertag in die Siebertstraße. Noch kannte ich allerdings die Hausnummer nicht und konnte keine abschließende Zuordnung treffen.
Gespannt auf die Ausstellung, ging ich tags darauf ins Jüdische Museum. Bereits als ich in den ersten Ausstellungsraum eintrat, fand ich mich völlig unerwartet in der Möhlstraße der ersten Nachkriegsjahre wieder. Zwei einander zugeordnete Großprojektionen holten mich in eine lange zurückliegende Wirklichkeit, die keinen größeren Gegensatz zu den Eindrücken des Vortages in der von prachtvollen Gebäuden gesäumten repräsentativen Möhlstraße des Jahres 2023 hätten schaffen können. Auf beiden Straßenseiten gezimmerte Baracken, die dem Geschäftsbetrieb auch für die Displaced Persons dienten.
Handel und Versorgung für Menschen, die alles verloren hatten – nicht nur ihre Heimat. Auf einer Projektionsfläche dazwischen las ich Zitate von Zeitzeugen. Und ich sah Filmausschnitte von einem Protestmarsch jüdischer Überlebender durch die Möhlstraße bis zur britischen Botschaft, begleitet von Angehörigen der amerikanischen Militärregierung in München. Auslöser der solidarischen Demonstration war die Weigerung der britischen Regierung, den Passagieren auf dem Flüchtlingsschiff „Exodus 1947“, allesamt Holocaustüberlebende, die Einreise nach Palästina, dem britischen Mandatsgebiet, zu erlauben. Eine wichtige Station des Rücktransports auf der „Exodus 1947“ war der Hamburger Hafen in Marias Geburtsstadt. Auch Maria Leipelt hatte die Ausreise nach Palästina ernsthaft erwogen. Sie lernte konsequent Hebräisch. Unter diesen dramatischen Umständen des Sommers 1947 war es ein Glücksfall für die junge, immer noch nicht volljährige Frau, dass die Ärztin und Pharmakologin Susi Glaubach in den USA für Maria Leipelt bürgen und ihr so eine Einreise als Staatlose ermöglichen konnte. Susi Glaubach selbst war als Jüdin im Sommer 1938 aus Wien vor den Nazis nach New York geflohen. Ihre engste Vertraute, Dr. Katharina Leipelt, die Mutter von Hans und Maria, begleitete sie nach einem Zwischenstopp bei den Leipelts in Hamburg mit dem Zug nach Bremerhaven. Sie sollten einander nicht mehr wiedersehen. Marias Identität für ihre Ausreise am 6. Juni 1946 bezeugte der Ausweis Nr. 21 der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), München. (Foto: Siehe oben) Sie hatte zuvor noch für die HIAS gearbeitet.
Mein Weg durch die Ausstellung führte mich entlang mancher Stationen in München und schließlich auch zur Siebertstraße 3: Auf einem Foto sah ich nun die Villa gegenüber dem Hildebrandhaus vom Vortag und las das Schild am metallenen Gartenzaun: „American Joint Distribution Committee. Central Committee of Liberated Jews in Bavaria“. An diesem Ort hatte Maria Leipelt also gearbeitet, bevor sie das Land der Täter verlassen konnte.
29. November 2023, Angela Bottin
Wir freuen uns, dass unsere Ausstellung eine Lücke in der Forschung zu Maria Leipelt schließen konnte und sind sehr gespannt auf die Publikation zu ihr und ihren Bruder Hans, die für 2025 geplant ist.
Die Ausstellung „München Displaced. Der Rest der Geretteten“ ist eine Bestandsaufnahme zur Münchner Nachkriegsgeschichte. Viele Detailinformationen, Fotos und Erinnerungsstücke fehlen noch. Inzwischen haben Besucherinnen, Nachfahren von Münchner DPs und andere Interessierte ihre Erinnerungen mit uns geteilt.
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