Gedenken als Kontaktsport: 3 Fragen an Nina Prader

Im Rahmen des Gedenkjahres „Zwölf Monate – Zwölf Namen“ hat die Künstlerin Nina Prader die Graphic Novel „Die Ringenden“ (En.: “The Wrestlers”) geschaffen. Darin beschäftigt sie sich mit dem Leben des Ringers Moshe (Muni) Weinberg, dem Olympia-Attentat und verschiedenen Formen des Gedenkens.
Nina Prader steht vor einer Zeichnung des Olympia-Stadions. Darüber ist zu lesen „Flags come in different colors: grief, loathing, and pride.“
Nina Prader bei der Eröffnung der Installation „Lesering“ im Jüdischen Museum München, Foto: © Daniel Schvarcz

Moshe (Muni) Weinberg starb 1972 als erstes von zwölf Opfern des Olympia-Attentats. Der Trainer der israelischen Ringer setze sich gegen die Terroristen zur Wehr und wurde beim Versuch sie aufzuhalten erschossen. Sein Sohn Guri war erst wenige Wochen alt. Wie hast du dich an das Thema angenähert? Wie sah dein Rechercheprozess aus?

NP: Es war mir wichtig, Muni über sein Leben zu zeigen. Ich habe einen enormen Respekt vor den Betroffenen, die seit 50 Jahren mit ihrer Trauer leben. Ich habe mit Guri Weinberg (Sohn) und Mimi Weinberg (Partnerin) Interviews in Hollywood und Las Vegas geführt, um ihre Perspektive zu verstehen. Ich war auch in München auf Recherche-Besuch. Ich habe so viele Medien, Ausstellungen, Veranstaltungen und Orte im Zeichen des Olympia-Attentats und der Gedenkkultur Münchens angeschaut wie möglich. Mein Besuch am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck hat mich besonders bewegt. Familienfotos und das Vernehmungsprotokoll von Munis Mutter vom 5. September 1972 sowie Zeitungen von damals dienten auch als Referenzmaterial. Aus diesen Aufnahmen habe ich versucht, Fakten, Zusammenhänge und Zwischenräume zu zeichnen. Es ist ein bisschen wie eine offene Reportage geworden. Wobei ich mir erhoffe, dass die Lesenden auch ins Erzählen kommen.

Du wolltest nicht nur die Ereignisse von 1972 nacherzählen, sondern in dem Comic auch Raum geben für die Reflexion über verschiedene Formen der Trauer und des Gedenkens. In welchem Verhältnis siehst du öffentliches Gedenken und das Gedenken innerhalb der Familien des getöteten Sportlers?

NP: Teilweise sind diese Gedenkformen in Opposition. Öffentliches Gedenken ist oft mit Entschuldigungen verbunden, die dann relativiert werden durch die Bürokratie, wenn z.B. kein Einblick in Akten gewährt wird oder Entschädigungen zu spät gezahlt werden. Trauer hat viele Gesichter. Der Wunsch der Angehörigen ist es, die geliebten Menschen, die ums Leben gekommen sind, zu würdigen. Diese nicht nur über die grausame Art und Weise, wie und wann diese ums Leben gekommen sind, darzustellen, sondern ihr Leben, ihre Taten und ihr Charisma in der Erinnerung hochzuhalten. Muni Weinberg war ein Vater, ein Partner, ein Sportler, ein Freund, eine Bezugsperson für seine Auszubildenden… Zudem sind die einzelnen Schicksale miteinander verbunden. Muni Weinberg zu Gedenken bedeutet auch, Yossef Romano, David Berger, Ze’ev Friedman, Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, Amitzur Shapira, Kehat Shor, Mark Slavin, Andrei Spitzer, Yakov Springer, Anton Fliegerbauer, dem gesamten Kontext zu gedenken. Gedenken bedeutet, Gesprächsräume schaffen, deswegen ist auch ein Teil meiner Arbeit die Installation „Lesering“, die einer Ringmatte gleicht. Diese Begegnungsorte sind im Jüdischen Museum München und im Graz Museum eingerichtet. Gedenken ist ein Kontaktsport, der konfrontiert, wie das Ringen.

Aufgeschlagene Graphic Novel mit Zeichnungen von Muni Weinberg und dessen Familie.
Szene aus „Die Ringenden“, Foto: © Malte Spindler

In deinem Comic gibt es immer wieder Verweise ins Heute, zum Beispiel zum Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum 2016. Würdest du sagen, dass unser Umgang mit solch schrecklichen Ereignissen und ihren Opfern heute ein anderer ist?

NP: Den Betroffenen wird immer noch nicht genügend zugehört. Heute geht es auch darum, Erinnerungskultur zu pluralisieren. Es wird nicht allen Menschen gleichermaßen Gedenkraum zugestanden. Oft werden Gewaltakte als Einzelfall kleingeredet, dabei zeichnen sich Wiederholungen ab. Natürlich sind diese Fälle spezifisch in ihren Details, trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten, wenn es um Entschädigung, Support, Sichtbarkeit und Reaktion geht. Der Olympiapark in München ist wie ein öffentliches Museum und ein Friedhof im Kontext des Olympia-Attentats. Von dem Olympischen Dorf, über das Stadion und den Gedenkorten ist es nur ein kurzer Spaziergang zum Erinnerungsort für die Opfer des rassistischen Attentats am OEZ, gewidmet den jungen Menschen, die gewaltsam ums Leben kamen. Diesen Spaziergang begleitet die Frage: Wie können wir gemeinsam gegen Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus und Rassismus in der heutigen Gesellschaft vorgehen?

Nina Prader (Lady Liberty Press) ist Künstlerin, Autorin, Kuratorin und unabhängige Verlegerin mit Ausstellungen und Veröffentlichungen in Boston, New York, Wien, Salzburg, Berlin und London. Sie studierte an der Museum School of Fine Arts in Boston (TUFTS University) und an der Slade School of Fine Art (University College London). Sie erhielt ihren MA in Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Der Comic gedruckt in 5 Leuchtfarben bei Lucky Punch Press, Berlin, ist im Rahmen der Installation „Lesering“ bis zum 30.12. im Studienraum des Jüdischen Museums München und bis zum 08.01. im Graz Museum zu sehen. Außerdem ist er in limitierter Auflage in der Literaturhandlung erhältlich.

Installation mit Sitzmöglichkeit auf einem farbigen Boden und einer Comic-Zeichnung vom Olympiastation an der Wand dahinter. An der Wand ist zu lesen "The Wrestlers".
Installation „Lesering“ im Studienraum des Jüdischen Museums München, © Daniel Schvarcz